„Situation der Prostituierten in Bayern“

Anhörung im Bayerischen Landtag

Johanna Weber -- 12.05.2022   Themen: Politik

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Es war eine Marathonsitzung. Vier Stunden ohne Pause ging es um das Thema „Prostitution in Bayern“. 14 Sachverständige waren geladen. Ich war als Sprecherin des Berufsverbandes für Sexarbeitende als letztes dran.

W wie Weber.

Sehr interessant fand ich die Auswahl der vermeintlichen Sachverständigen. Die Hälfte dieser Menschen sind bekennende Prostitutionsgegnerinnen. Das ist bemerkenswert, denn wenn ich als Politkerin z.B. eine Anhörung zum Thema Impfmaßnahmen mache, dann lade ich doch auch nicht 50% Coronaleugnerinnen ein als Sachverständige.

Beim Thema Prostitution werden aber sehr wohl 50% Prostitutionsgegner*innen als Sachverständige eingeladen.

Natürlich sind auch die Argumente dieser Menschen wichtig und richtig, und für die angesprochenen Probleme sollte auf jeden Fall nach Lösungen gesucht werden. Ich würde sehr gerne die skizzierten Schwierigkeiten differenziert betrachten, wenn mir nicht dauernd das Wort im Mund umgedreht werden würde.

Und genau so wenig sachlich waren auch die meisten der gehaltenden Reden.
Bei den meisten Wortbeiträgen hätte in der Schule „Am Thema vorbei“ unter dem Aufsatz gestanden.
In der Politik scheint dies aber egal zu sein.
Und das ist es, was ich immer wieder so erschreckend finde.
Es wurde kaum auf die konkrete Situation und expliziten Probleme in Bayern eingegangen, und so habe ich mich mit meinem Kurzvortrag genau darauf konzentriert.

Hier das Wortprotokoll meines Beitrages - Hinweis. Ich habe frei gesprochen und es wurde wörtlich transkribibiert. Einige Sätze lesen deshalb etwas ungeschmeidig.

Johanna Weber (BesD e.V.):

*Mein Name ist Johanna Weber. Das ist mein Künstlername als Sexarbeiterin. Ich bin die politische Sprecherin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen. Das mache ich in meiner Freizeit als Ehrenamt, denn unser Verband hat keine bezahlte Stelle dafür.
Ich erzähle erst ein bisschen von mir, dann vom Berufsverband, und dann nenne ich meine konkreten Punkte für Bayern.

Ich habe vor dreißig Jahren in der Sexarbeit angefangen, damals in Hamburg. Ich habe in Wohnungsbordellen und Terminwohnungen gearbeitet. Ich habe auch ziemlich viele andere Sachen probiert, also Hausbesuche, Hotelbesuche oder Arbeit in der Bar. Das lag mir nicht; denn man muss wissen, dass die Arbeitsplätze in der Sexarbeit sehr unterschiedlich sind. Nur weil eine sagt, dass sie in dem Bereich tätig ist, heißt das noch lange nicht, dass sie in allen Bereichen arbeiten kann. Das muss einem auch liegen. Ich wollte früher immer gerne im Schaufenster in der Herbertstraße sitzen. Das hat nicht geklappt. Da kam ich gar nicht ran; dafür war ich nicht hübsch genug.

Als ich damals als Prostituierte gearbeitet habe, gab es das Wort Sexarbeit noch nicht. Deswegen haben wir uns Prostituierte genannt. Ich finde das Wort Sexarbeit mittlerweile sehr gut, weil das Wort Prostituierte sehr negativ besetzt ist. Es ist sehr schwer, damit eine positive Berufsdefinition zu machen. Das geht so weit, dass es sehr viele Kolleginnen gibt, die in der Sexarbeit tätig sind, und nicht einmal ihr Ehemann weiß, was sie eigentlich machen. So viel dazu, wieso eigentlich so wenige Frauen oder auch Männer bei der Krankenversicherung als Prostituierte angemeldet sind. Ich bin bei meiner Krankenversicherung auch nicht als Prostituierte angemeldet. Bin ich denn blöd? – Die Daten geraten doch überallhin. Niemand will DAS in seinem Lebenslauf haben. In einer Untersuchung des Familienministeriums wurde festgestellt, dass es eine sehr hohe Zahl an Sexarbeitenden gibt, die krankenversichert sind, aber nicht als Prostituierte.
Natürlich haben wir Probleme mit der Krankenversicherung. Da geht es dann aber darum, dass die Beiträge zu hoch sind, die Zugangsvoraussetzungen nicht erfüllt sind usw. Dazu können die Beratungsstellen vielleicht mehr sagen.

Ich arbeite jetzt immer noch als Sexarbeiterin. Ich lebe in Berlin und verdiene das meiste Geld hier bei Ihnen im schönen Bayern. Seit acht Jahren komme ich hierher. Ich habe in Hof gearbeitet. Inzwischen bin ich seit acht Jahren in München. Ich habe gerade vier Tage in meinem Bizarr-Bordell gearbeitet, neben mir meine rumänische Kollegin. Wir sind interessanterweise immer zusammen da, und sie ist bestimmt kein Opfer. Das heißt, es gibt auch diese Rumäninnen, die das sehr geschäftstüchtig als ihren Beruf ansehen und sich zu Hause mit dem Geld eine Villa am Meer kaufen. Das gibt es.

Das Geschäft war schlecht. Das ist eine Folge von Corona. Ich selbst habe noch großes Glück, weil ich so viele Stammkunden habe. Mir geht es gut. Deshalb kann ich es mir auch erlauben, in meiner Freizeit politische Arbeit für den Berufsverband zu machen.

Ich möchte hier einmal kurz etwas hoch halten und Ihnen zeigen, nämlich meinen ordnungsgemäßen Hurenausweis. So einen Ausweis tragen wir alle mit uns herum. Offiziell müssen wir den natürlich nur bei der Arbeit dabeihaben, aber wir arbeiten fast alle in verschiedenen Städten, das heißt, wir haben ihn immer im Portemonnaie.
Sie sehen: Darin ist zwar mein Künstlername, aber auch ein Foto! Das heißt, in meinem Portemonnaie kommt ja keiner darauf, dass ich das bin.
So viel dazu. Da haben wir wieder das Problem mit dem Stigma.

Der Berufsverband, für den ich die politische Sprecherin bin, hat sich vor acht Jahren gegründet. Mitglied werden können Sexarbeitende, die aktiv arbeiten, oder Ehemalige. Wir sind der größte Verband dieser Art in Europa und setzen uns für die Rechte aller Sexarbeitenden ein. Wir haben im Vorstand eine Straßenstrichprostituierte. Bei Sexarbeitspolitik geht es in der Regel nicht um mich. Mir geht es gut. Selbst wenn die Prostitution verboten werden würde, könnte ich sofort etwas anderes machen. Bei unserer Arbeit geht es hauptsächlich um die Menschen, die eben nicht sofort etwas anderes machen können und die eigentlich andere Bedingungen in der Sexarbeit, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen brauchen.

Mein politischer Ansatz ist Sachpolitik:
Was ist das Problem?
Was ist die Ursache?
Wie können wir das lösen?


Für Bayern habe ich vier Punkte:

Erster Punkt.
Ich wurde schon auf die Corona-Folgen angesprochen. Nicht nur Bayern, sondern alle Bundesländer müssen sich Gedanken machen: War es richtig, wie wir das gehandhabt haben? Die Bordelle waren in Bayern geschlossen. Das war in allen Bundesländern so. Die eigenständige Sexarbeit war in Bayern er- laubt. Das ist eher zufällig passiert, war aber nicht schlecht. Was ist passiert? Die Bordelle waren geschlossen; der überwiegende Teil an Sexarbeitenden hat nicht genügend Corona-Hilfen bekommen oder hatte überhaupt kein Anrecht darauf. Das heißt, sie haben weitergearbeitet.
Die Portale zeigten ziemlich viele Anzeigen. Alle Kolleginnen erzählten mir – ich habe logischerweise nicht gearbeitet, das kann ich mir als politische Sprecherin nicht erlauben –, dass das Telefon dauernd klingelte. Alle Stammkunden sagten: Komm mich doch zu Hause besuchen! – Das haben alle gemacht.

Die Beratungsstellen nennen dies "Milieuverschiebung".

Ich war gerade auf der Tagung der Beratungsstellen. Da gab es auch die Frage nach den Corona-Folgen. Es gab also eine ganz große Verschiebung von Sexarbeitenden, die in den Prostitutionsstätten gearbeitet haben, die jetzt eigenständig unterwegs sind und die Leute zu Hause besuchen oder Ferienwohnungen anmieten – das ist natürlich auch nicht erlaubt, weil Airb&b das gar nicht zulässt – oder in Hotelzimmern arbeiten. Das klingt erst einmal toll: Super, dann sind die jetzt frei! –

Das ist aber nicht super. Wir nennen das "Vereinzelung".

"Vereinzelung" heißt, dass die Betreffenden niemanden haben, mit dem sie sich austauschen können. Sie haben keine Kolleg*innen, von denen sie etwas lernen können. Sie haben keine Kontakte zu anderen, um sich zu vernetzen und etwas gemeinsam zu machen. Und: Eine Prostitutionsstätte ist auch ein sicherer Arbeitsplatz. Das ist nicht nur eine Räuberhöhle. Deswegen laden wir auch immer alle ein: Guckt euch doch mal ein Bordell an! – Sollte es zu einer neuen Corona-Schließung kommen, müsste man das vielleicht noch einmal neu betrachten.


Der zweite Punkt, der hier schon öfter genannt wurde, sind die Sperrgebiete.

Es gibt zwei Arten von Sperrgebieten.

Die eine Art sieht vor, dass im Sperrgebiet alles, was Sexarbeit, was Prostitution ist, verboten ist. So wird es üblicherweise in Bayern gehandhabt. Die zweite Art besteht darin, dass nur die sichtbare Prostitution verboten ist. Man nennt das juristisch auch "keine störenden Umgebungseinflüsse". Das heißt, Wohnungsbordelle, in denen unerkannt, ohne Werbung draußen gearbeitet wird, oder Terminwohnungen sind erlaubt. Auch Sexarbeitende zu Hause dürfen arbeiten.
Das wäre möglich. Das ist in Bayern nicht der Fall.

Ich gebe ein Beispiel. Wir sind in München; ich arbeite hier.

Über 90 % dieser Stadt sind Sperrgebiet.

Dort ist alles verboten. Das heißt, die Sexarbeitenden können nicht in ihrer eigenen Wohnung arbeiten, weil diese meistens im Sperrgebiet liegt. Ich kann meine Kunden auch nicht zu Hause besuchen; das ist ebenfalls meistens im Sperrgebiet.
Wo sind die Kunden der Escortdamen? In den Fünf-Sterne-Hotels. Alle namhaften Fünf-Sterne-Hotels in der Innenstadt sind im Sperrgebiet. Die Frauen machen sich am laufenden Meter straffällig, weil sie die Kunden dort besuchen.

Die Polizei in München arbeitet mit Scheinfreiern; sie lockt uns wohin und überführt uns dann wegen Übertretung der Sperrgebietsverordnung.

Wer sich das alles ersparen will, muss mit den wenigen Prostitutionsstätten, die es hier in München gibt, die in den verbleibenden 7 oder 8 % des Stadtgebiets sind, vorliebnehmen.
Das ist eine unglaubliche Abhängigkeit.
In dem Bizarr-Studio, in dem ich jetzt arbeite, ist drei Monate vorher alles ausgebucht. Da kommt man gar nicht mehr ran.
Das ist München. Das ist keine gute Arbeitsgrundlage.


Der nächste Punkt betrifft die Rolle der Polizei.

Ich kenne kein anderes Bundesland, in dem Sexarbeitende so viel Angst vor der Polizei haben.

Die Razzia, die ich selbst in München vor sieben Jahren erlebt habe, gehört zu den schlimmsten Erlebnissen meines Lebens. Da kommt eine komplette Mannschaft in voller Montur herein. Ich bin nackt; das ist normal, ich arbeite nackt. Trotzdem finde ich es etwas anderes, ob ich meinem Kunden gegenüber nackt bin oder ob fünf Leute in voller Montur reinkommen und sagen: Alle raus! – Das war damals, als es noch kein Prostituiertenschutzgesetz gab; da musste ich mich hier noch nicht registrieren. Die Sitte meint aber, ich müsse mich registrieren. Das heißt, die haben bei dieser Razzia Fotos von mir gemacht – der Beginn einer erkennungsdienstlichen Untersuchung. Natürlich hätte ich sagen können: Ich möchte nicht, dass Sie Bilder von mir machen.

Aber das wusste ich doch nicht. Ich war so ein scheues Reh.

Das war echt frustrierend. Ich wünsche mir eigentlich, dass die Polizei von Sexarbeitenden wirklich als Freund und Helfer wahrgenommen wird und als Anlaufstelle, an die wir uns auch wenden wollen.

In Hamburg, wo ich angefangen habe, hingen in allen Bordellen die Visitenkarten von der Sitte, und wir wussten: Da kann ich anrufen. Die helfen mir. Da fühle ich mich gut aufgehoben.
Hier in München ist jeder froh, wenn die Sitte wieder weg ist.


Die letzten Punkte sind ganz kurz:
In diesem großen Bundesland gibt es eine sehr geringe Dichte an Beratungsstellen. Auch das wurde schon gesagt. Da muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Auch sollte es mehr finanzielle Unterstützung bei den Beratungsstellen für Umstiegskonzepte und Umstiegsunterstützung geben.

Grundsätzlich wünsche ich mir, dass mehr pragmatisch geguckt wird: Wie gehen wir mit dieser Branche um?

Durch Verbote erreicht man das Gegenteil. Das hat uns Corona gezeigt.

Ich wünsche mir für die Menschen, die das freiwillig oder so wie ich selbstbestimmt machen, für die das nicht problematisch ist – es gibt eine große Zahl an Sexarbeitenden, die sagen: Ich mache das jetzt, ich verdiene so mein Geld, und ansonsten ist es mir eigentlich egal –, dass die Arbeitsbedingungen optimiert werden.

Und ich wünsche mir für diejenigen, die den Beruf nicht ausüben wollen und die auch nicht gut dafür geeignet sind, dass es für sie Alternativen geben muss. Wir müssen mal vernünftig darüber nachdenken, dass wir mit einem Verbot oder mit dahin gehenden Gedanken die Situation genau für die Menschen verschlechtern, die wir eigentlich retten wollen.

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