10 Fragen am Madame Kali oder die Hexengeige

Und da habe ich dann irgendwann gedacht: „Jetzt erst recht“

Johanna Weber -- 29.11.2023   Themen: Kolleg*innen

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1) Wie war denn eigentlich bei dir der Einstieg in die Sexarbeit?

Das war um die Jahrtausendwende. Da hab ich das so ab und an mal nebenbei gemacht. Ich wollte das auch schon richtig machen, hab mich aber von meinem damaligen Typen davon abbringen lassen. Dann war ich irgendwann nicht mehr mit dem zusammen, und mußte Schulden loswerden.
Und dann hab ich bei so einer Zeitungs Kontakt Anzeige angerufen. Internet war damals ja noch recht neu. „Lady Chantal“ hieß es dort. Ich bin ja BDSMerin und dachte, dass die mich vielleicht als „Zofe“ gebrauchen kann. Da hab ich mich dann vorgestellt.
Das war in so einem Fachwerk-Hinterhäuschen hier in einer ostwestfälischen Kleinstadt.
Unten im Keller waren dann so die SM-Räume, im Erdgeschoß ein Wohnzimmer wo man sitzen konnte und oben gabs noch zwei Zimmer mit Betten. Alles total schnuckelig und gemütlich.
„Angela und ihre Mädchen“, darunter kannte man sie.
Und ich hab da dann eine Weile gearbeitet.

2) Was hast du denn da gearbeitet?

Alles.
Wir saßen da immer so in normalen sexy Klamotten - nicht in Lack und Leder.
Am ersten Tag hatte ich ja noch keine Ahnung von nix und sollte eigentlich alles erzählt bekommen. Aber da kam gleich so ein Typ, und ich bin dann einfach so mit dem ins Schlafzimmer, und wir haben so ganz normal Sex gemacht. Und ich hatte natürlich nicht vorher kassiert, denn ich hatte ja keine Ahnung, dass man das so macht.

….Wir lachen und beide schlapp…

Und dann waren wir also fertig, und er hat mir dann das Geld so hingelegt. Ich wußte ja gar nicht was man so nimmt und was ich an die Chefin abgeben muss. Ich bin dann runter zu ihr und hab ihr die Scheine gezeigt. „Boh, so viel hat der ja noch nie hiergelassen. Kannst gleich weiter machen….“
Und ich guckte auf die 200 Euro in meiner Hand - oder waren es 300? - und stammelte nur, dass ich erst mal nach Hause müsse und mich sortieren.
Ich konnte es gar nicht glauben.
So viel Geld.
Und dann war ich halt da in dem Laden und lernte, dass man zuvor ganz normal mit den Männern kommuniziert und sich ihre Lebensgeschichten anhört und auch abspricht, was man denn so machen will. Da war ich dann eine ganze Zeit, bis ich von den Schulden runter war. Dann habe ich es mal wo anders probiert.

3) Und wie wurdest du dann zu Madame Kali?

Ich habe einfach meinen alten BDSM-Namen. Madame Kali, wiederbelebt und damit dann mein Profil als Domina aufgebaut.
Wie man sich vermarktet, das hatte ich über die Selbststsändigekeit im Musikbereich gelernt. Ich spielte ja früher Geige auf Mittelaltermärkten, und du mußt dich ja auch anpreisen, damit die Veranstalter dich nehmen und vernünftig oder überhaupt bezahlen. Da hatte ich mir dann schon eine Webseite eingerichtet von der Hexengeige. Das gehörte alles zu meiner Werbung.
Und das ist bei der Sexarbeit ja genau so. Du brauchst die richtige Werbung, sonst kriegt ja keiner mit, was du so machst, und dass du ganz toll bist.

Und dann hab ich auch eine Webseite für Madame Kali gemacht. Aber das hat echt gedauert. Ich hab dann zuerst Fotos mit Gesicht gezeigt, und dann hab ich die wieder runter genommen, weil ich hab ja was Anständiges studiert und vielleicht arbeite ich ja doch noch mal ganz normal bürgerlich. Und dann immer so hin und her: mit Gesicht - ohne Gesicht - mit Gesicht - ohne Gesicht …
Das hat echt gedauert, bis ich sagen konnte, dass ich eigentlich nichts zu verbergen habe.

4) Aber wie hast du dann einen Job draus gemacht?

Genau. Ich bin ja Fetischistin und Sexarbeit kannte ich ja nun auch schon, aber wie bringt man das zusammen? Ich war dann in Wuppertal in einem SM-Studio bei Lady Amber, die kennst du ja auch.
Ja, damals durfte man ja in den Studios noch übernachten - ist ja heute verboten. Und da bin ich dann immer hingefahren und hab 2 Tage die Woche da gearbeitet. Der rote Salon mit den Karussellpferden, dem Flaschenzug und dem großen, antiken Fesselbett war mein Favorit - Plüsch und SM, das war voll mein Ding.
Da habe ich dann viel gelernt.
Ja, aber immer nach Wuppertal fahren, das ist doch auf die Dauer doch aufwendig.
Genau, deshalb hab ich dann in Bielefeld geschaut und auch was gefunden.

5) Es gibt ja noch eine neue Facette bei dir - die Strapsmaus. Wie kam es denn dazu?

Ich kann mich ja immer aufregen, wenn die Prostitutionsgeger*innen gegen uns am Wettern sind. Von wegen wir Dominas hätten ja eh keine Ahnung von Sexarbeit.
Und da habe ich dann irgendwann gedacht: „Jetzt erst recht“
Naja, ganz so revolutionär war das dann nicht.
Es gab schon noch einen Weg dahin. Das Aha-Erlebnis war so eine Session mit einem komplett depersonalisierten Gummiobjekt. Komplett eingepackt. Wirklich alles. Mit Maske, Strümpfe und Schwanz auch in Latex eingepackt. Und was für ein Schwanz!
Der lag dann auf meinem Bett im Studio und – schwupps

… wir lachen wieder beide… und ich pflichte ihr bei, dass man da ja mal könnte….

Und dann habe ich das so ab und zu mit in meine Sessions eingebaut. Und Irgendwann hab ich mich dann entscheiden, das auch offiziell anzubieten.

6) Und wie kommt man dann auf Strapsmaus?

Naja, ich steht halt auf Strapse, Nylons und Dessous. Und dieser Name Strapsmaus hat bei mir auch was getriggert.

7) Du bist ja super vielseitig, und machst auch noch Sexualbegleitung. Wie bist du denn dazu gekommen und was ist das eigentlich?

Also, ich habe ja auch mal was „Anständiges“ studiert. Das war ja dann auch endlich fertig. Diplom Erziehungswissenschaft - Bereiche mit Bodywork und musischer Ausbildung. Da hab ich während des Studiums schon Theater- und Musikkurse für Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen gemacht. Später dann auch im normalen Gesundheitswesen Alltagsbegleitung, Arbeits- und Freizeitbegleitung.

Als ich dann in die Sexarbeit eingestiegen bin hat sich für mich überhaupt nicht die Frage gestellt, ob ich das auch für diese Menschen anbiete. Das war für mich einfach klar.
Ich bewerbe das gar nicht speziell, sondern ich habe schon ein paar Mal Interviews zu dem Thema gegeben, und dann finden die mich. Manchmal rufen mich auch Sozialarbeitende an für ihre Klienten.

8) Du hast ja immer die Geige dabei. Und machst ja auch auf Social Media Bilder, wie du in deinen Studios am geigen bist?

Warum ich die Geige mitschleppe?
Ich bin sehr ehrgeizig und bin mittlerweile schon weit gekommen mit dem Instrument, und für komplexere Sachen mußt du einfach üben, üben, üben. Gerade beschäftige ich mich mit Tango, übrigens eine Musik die ursprünglich aus den Rotlichtvierteln des alten und armen Argentinien kommt. Der großartige Tango Komponist Astor Piazolla widmet diesem Thema nicht nur zahlreiche Songs sondern auch eine ganze Oper. Ich genieße das auch die Domina mit der Geige zu sein. Die Hexengeige die andere und neue Wege geht. Salonabende schweben mir vor.
Ich habe lange in Bands gespielt, Straßenmusik gemacht auf Mittelaltermärkten gespielt, und jetzt entwickel ich mich eben einfach weiter.
Salonkultur ist ja etwas in Vergessenheit geraten. Es gab da bei mir schon ein paar Startschüsse in der Richtung. Vorträge mit Geigenmusik. Also, ein unterhaltsamer Abend mit Musik und mit Vorträgen oder Lesungen rund um die Sexarbeit oder Sexualität.
Sex and Violin heisst das Programm.
Und das möchte ich ausbauen.

9) Du interessierst dich ja auch sehr für die Geschichte der Sexarbeit? Was fasziniert dich daran?

Historik und Kultur-Antropologie haben mich schon schon immer fasziniert.
Es geht um die Kulturen und damit die Menschen besser verstehen zu können.
Jenseits dessen, was uns in der Gesellschaft aufoktroyiert wird.
Und unsere Kultur fängst ja schon viel, viel früher an.
Ich möchte nicht nur wissen, was vor 2000 Jahren war, sondern ich möchte wissen, wer wir wirklich sind. Und ich sehe ganz viele Parallelen zur heutigen Zeit - gerade bezogen auf das Thema Sexualität.
Ich habe mehrere Jahre wissenschaftlich geforscht zum Thema Historik der Sexarbeit - habe da Vorträge gehalten - und JA, das ist mein Thema.

10) Der Podcast des Berufsverbandes „Simply the BesD“ ist deine Idee und du bist die Macherin.

Wie bist du auf die Idee gekommen und was ist dein Ziel dabei?

Also, die technischen Voraussetzungen habe ich ja dafür, denn die brauche ich ja auch zur Songproduktion. Die Idee dahinter war, dass uns als Berufsverband für Sexarbeitende ja immer zu Unrecht vorgeworfen wird, wir würden ja gar nicht alle Sexarbeitenden abbilden.
Weil, die Marginalisierten kommen ja gar nicht in die Öffentlichkeit. Das stimmt ja auch, denn die haben Gründe, warum sie nicht in die Öffentlichkeit gehen. Sie wollen einfach nicht als Prostituierte geoutet werden. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, wo Sexarbeit verboten ist, da geht man so ein Risiko ja nicht ein. Kollegies mit Kindern wollen ihre Kinder vor dem Stigma bewahren und junge Leute, die vielleicht noch was anderes in ihrem Leben machen wollen als Sexarbeit…
Und so Alte, wie…

...wir lachen beide, denn der Satz muß nicht zuende gesprochen werden...

Ja, und ich will diesen Kollegies eine Stimme geben.
Eine Stimme im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein Podcast bietet die Chance auch annonym seine Statements in die Öffentlichkeit zu bringen.
Ich möchte eine Freifläche bieten für Kollegies die sie nutzen können, um ihre Meinung und Ansichten zu Sexarbeit kund zu tun.
Beeindruck hat mich die Lebensgeschichte der Straßensexarbeiterin aus Bielefeld. Da könnte man glatt einen Film drüber drehen. Von Afrika über Australien nach Bielefeld. Also, das muss man mal erstmal hinkriegen.
Oder die Kollegin die eigentlich Friseurin gelernt hatte und dann zunächst nebenbei in der Sexarbeit angefangen hat. Dann hat sie gemerkt, dass das für die der bessere Job ist.
Oder die aus bulgarische Kollegin, Bety, die mittlerweile in einer Beratungsstelle Workshops für Sexarbeitende macht zur Professionalisierung.
Oder Sophie, die wunderbar erklärt, was sie an ihrer Arbeit in verschiedenen Laufhäusern gut und auch nicht so gut fand. Super anschaulich.


LINKS zu Madame Kali

Podcast „SIMPLY THE BESD“
-> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/aktuelles/podcast-simply-the-besd/

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