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Dies ist der zweite Teil des sehr emotionalen Interviews mit der fast gleichaltrigen Kollegin, Hure mit Huhn.
Die Kaffeetassen auf unserem Kaffeehaustisch sind inzwischen gelehrt und nachbestellt. Beide hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir uns so verplaudern. Aber genau das sind immer die besten Gespräche.
Teil 1 ist mit Zuhälter und Teil2 ist die Zeit danach.
Du kannst auch bei Teil 2 einsteigen.
Bevor ich das Kind geboren habe, war ich komplett geoutet.
Ich war jung. Ich fand mein Leben cool, so wie es ist.
Ich hab Geld gehabt, ich war frei.
Vielleicht hatte ich einen etwas komplizierten Lebenspartner, aber mein Leben war schön.
Du hast damals total easy die Kohle verdient.
Wenn du im Sommer nachmittags deine 600 oder 700 Mark Umsatz gehabt hast, dann bist du an den See gefahren zum Baden. Und du hast dir gesagt, die jetzt nicht da waren, können ja am nächsten Tag kommen. Und sie sind ja gekommen. So war das damals. Es lief halt.
Ich war komplett geoutet, und mir war das egal.
2) Das hat sich aber geändert als du schwanger warst?
Als ich dann Mutter wurde, da denkst du dann plötzlich anders. Dann hast du Verantwortung. Dann bist du nicht mehr alleine. Dann mußt du für jemanden mitdenken.
Was denken jetzt die anderen Leute?
Ich wußte ja selber wie blöd ich angeschaut wurde. Das konnte ich meinem Kind doch nicht antun.
Ich kannte das Stigma ja.
Ich wußte ja wie über mich gesprochen wurde.
Das Stigma überträgt sich auf die Familie.
Und das ist das Schlimme.
Ich hatte Angst, dass meine Tochter nicht mehr zum Kindergeburtstag eingeladen wird.
Ich hab dann aufgehört mit dem Anschaffen und hab ein Jahr lang nix gemacht.
Ich hab dann Sozialhilfe beantragt und sogar bekommen.
3) Du hast ja vorher sehr gut verdient. Hattest du nichts zurückgelegt?
Nein, so wie ich es verdient hab, so hab ich es rausgeworfen.
Das war so.
Das war nicht klug, aber das haben alle so gemacht, und ich auch.
4) Und wann hast du wieder angefangen zu arbeiten?
Nach 2 Jahren hab ich das Gefühl gehabt, dass ich mal wieder was tun muss.
Meine Eltern gingen damals in Rente, und so konnte ich meine Tochter dort lassen und mir wieder Arbeit suchen. Dann habe ich einen Bürojob erfunden.
Meine Eltern wußten, was ich vorher gemacht hab. Sie waren darüber natürlich nicht amused, als ich so jung war und anschaffen gegangen bin. Ich war ja ihr kleines Kind.
Aber das mit dem Bürojob hat dann keiner mehr hinterfragt, denn ich hab immer nur bis 17:00 gearbeitet, und dann das Kind abgeholt.
OK, meine Eltern sind ja nicht blöd, aber sie haben nicht gefragt. Ich denke, sie wollten es auch nicht.
Und ich sah ja auch nicht so aus wie „so Eine“.
Auf jeden Fall habe ich mir und meiner Tochter ein schönes Leben finanzieren können.
5) Und wie hast du dann deinen jetzigen Mann kennengelernt?
Den hab ich noch ganz normal in einer Kneipe kennengelernt. Das ist ja 25 Jahre her.
Dem hab ich dann natürlich auch von meinem Bürojob erzählt.
Die einzige Person, die wußte, was ich mache, war meine bester Freundin. Und die sagte, dass ich ihm das sagen muss: „Stell dir vor, der kriegt da anderswie mit.“
Und dann habe ich gebeichtet.
Er war schockiert, weil mein Man hat ja gar nichts mit sowas zu tun gehabt.
Aber nach dem ersten Schlucken und sprachlos sein hab ich zu ihm gesagt, dass es zwei Möglichkeiten gibt:
Entweder du läßt es mich dir erklären
oder
du gehst jetzt!
6) Aber er ist nicht gegangen?
Er hat sich drauf eingelassen, auf den Versuch, mit einer Frau aus dem Gewerbe zusammenzuleben.
Und es gab viel Gesprächsbedarf.
Wir sind jetzt 23 Jahre verheiratet und kennen uns 26 Jahre.
Und wie gesagt, es gab viel Redebedarf.
Ich habe immer gesagt, du kannst mich alles fragen. Ich werde es so gut wie ich kann beantworten.
Das ist ja klar, wenn jemand damit gar nichts zu tun hat, dann kommen so Gedanken, wie Eifersucht und sowas. Das muss man ja erst mal verstehen, dass ich meine Gäste sehr mag, aber emotional gar keine Verbindung habe, die über den Job hinaus geht.
Es hat für meinen Mann eine Zeit gebraucht, aber irgendwann war das kein Thema mehr.
Wir haben uns ja nicht im Milieu bewegt, wo Halli-Galli, alle ziehen los.
Auf einmal war ich im soliden Umfeld unterwegs. Ich war ja eine ganz normale Mama. Unser Freundeskreis waren dann halt „normale“ - na, du weißt was ich mit „normal“ meine.
Solide halt.
Dann kam bei ihm sowas wie: „Ich bin ja wohl nicht Manns genug und kann meine Familie nicht ernähren.“ Diese Ängste, die dann solide Männer haben. Dass die anderen denken, der läßt seine Frau so einen Job machen.
Das war nicht einfach.
Die Zeiten sind heute anders, aber diese Muster sind noch lange nicht weg.
7) Wann hast du mit deinem Kind darüber gesprochen?
Ich hab immer für mich überlegt, wann ist ein guter Zeitpunkt. Wenn sie klein sind, dann geht die das nichts an. Da interessiert es sie eh noch nicht, und sie können damit nichts anfangen. Sonst plaudern die das noch rum, und sind selber die Leidtragenden. A Kind is a Kind.
Meine Tochter war 16 als ich es ihr gesagt habe.
Ich weiß noch wie das war.
Ich hab damals mit ihr in ihrem Zimmer gesessen und hab gesagt:
„Ich möchte mir dir reden. Ich möchte nicht, dass du es per Zufall erfährst. Meinen Bürojob gibt es nicht.“
Da hat sie natürlich ungläubig den Kopf geschüttelt und nachgefragt.
Dann hab ich er ihr erklärt,
und weißt du was die Reaktion war?
„Ja, kriegst du denn wenn du alt bist auch mal eine Rente?“
8) Und wie war dann die zweite Reaktion deiner Tochter?
Dann gab es natürlich auch mit meiner Tochter Gesprächsbedarf. Das war dann aber eher so Neugier. Ich sagte ihr, dass ich das nicht groß in der Welt herumerzähle, und sie das für sich entscheiden sollte, ob sie es ihren Freundinnen erzählt. Wenn sie das Gefühl hat, dass sie mit denen drüber sprechen möchte, dann solle sie das tun, aber ich an ihrer Stelle würde es wahrscheinlich nicht tun.
Ich muss dazu sagen, dass wir einen großen Garten haben, und schon immer die Freunde und Freundinnen bei uns ein und aus gegangen sind und sich auch mal bei mir ausgeheult haben. Irgendwann kam meine Tochter dann aber zu mir und erzählte, dass sie es ihrer Clique erzählt habe, und die fänden das alle total cool und wären alle total neugierig.
Und dann haben wir mal einen Abend gemacht, wo ich dann quasi in der Mitte saß und sie durften mich alles fragen. Da sind dann ganz normale Fragen gekommen, wie: „Wie schauen die Männer aus, die zu dir kommen?“ oder „Wie siehst du denn aus, wenn du arbeiten gehst?“ Und solche Sachen. Also, es war nicht so, dass sie sich von mir fern halten wollten.
Es war eine schöner Abend.
9) Hast du es dann anderen Leuten erzählt?
Ich hab dann angefangen den Menschen, die mir nahe stehen, von meinem Job zu erzählen. Zuerst nur bei Frauen. So: „Ich vertrau dir, und ich möcht dir was sagen.“ Und komischerweise haben die Leute erstaunt aber sehr gut reagiert.
Ich passe ja gar nicht in das Bild. So eine ganz normale Frau, die gar nicht so geschminkt ist. Und beim Sport genauso mit der Jogginghose da steht, wie alle anderen auch und nicht mit Gucci-Handtäschchen.
10) Wie arbeitest du denn jetzt?
Ich habe mein eigenes kleines Apartment, das ich mir so eingerichtet habe, dass ich mich wohl fühle - wo eine Kerze brennt und frische Blumen stehen. Und mache jetzt nur noch 4 Tage. Ich bin in „Altersteilzeit“.
Ich mache überwiegend Sachen im zärtlichen Bereich, viel Massagen, Verkehr, Französisch… solche Sachen, und auch leicht bizarre Dinge.
Also, Domina könnte ich gar nicht sein.
Ich bin Mensch, und ich kann gut Nähe geben. Ich habe die Berührungsängste nicht oder nicht mehr. Und ich bin ein sehr zugetaner Mensch. Und das ist sicher ein Teil davon, dass ich mit Ende 50 noch gut Geld verdiene. Und ich trau mir das sicher noch fünf oder mehr Jahre zu.
Vielen Dank an die Kollegin, Hure mit Huhn, für ihr Vertrauen mir gegenüber und ihre Ehrlichkeit. Die vielen Reaktionen und Fragen zum Teil1 zeigen, wie wichtig solche Beiträge sind.
Wichtig um unsere Arbeit in der Sexarbeit zu verstehen und besser beurteilen zu können.
Wichtig zum Abbau des Hurenstigmas.