3Sat Sendung - Prostitution: Kein Job wie jeder andere

Ich als Feigenblatt in dem einseitigen Beitrag

Johanna Weber -- 05.03.2021   Themen: Presse Politik

3sat durchgestrichen handgemalt

Zur besten Sendezeit flimmert mal wieder das Thema Prostitution über die Mattscheibe. Das Fernsehen muss sich ja was einfallen lassen, um gegen Netflix und Consorten zu punkten. Und Sex sells.

Link zur Sendung

Es sollte ein ausgewogener Beitrag werden, der alle Seiten der Branche gleichmäßig beleuchtet. Vor Monaten schon kam die Anfrage zum Interview an mich rein. Ich war zunächst skeptisch, hatte dann aber ein gutes Gefühl bei der jungen Nathalie Suthor, die diesen Beitrag produzieren wollte. Sie kam in mein Studio, und es war ein wirklich schönes Interview und ihre Fragen waren nicht schlecht.
Nie hätte ich gedacht, dass sie aus mir einen Lückenfüller für ihre Sendung macht, alleine um zu zeigen, dass sie mit allen Seiten gesprochen hat.
Genauso wurden auch Kollegin Kristina Marlen und die Soziologin Elfriede Steffan gelockt, die ihre Beschwerde an die Redaktion hier veröffentlicht hat.. Den beiden Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Freiraum aus Essen ging es ebenso. Sie erhielten die Informationen, es ginge um eine differenzierte Darstellung von Sexarbeit. Hier deren Stellungnahme.

Kommen wir nun aber zu den Inhalten.

Ich beginne mit den beiden Sozialarbeiterinnen aus Stockholm, die es als großen Erfolg ansehen, dass sich der dortige Straßenstrich in 20 Jahren halbiert hat. Ich verstehe wirklich nicht, was daran eine Erfolgsmeldung sein soll. Ich finde es erstaunlich, dass es überhaupt noch einen Straßenstrich in Stockholm gibt, wo doch die Männer sich strafbar machen und die Polizei nicht nur bei deren Arbeitgeber Bescheid sagt, sondern auch Zuhause bei deren Ehefrau.

Außer, dass die beiden schwedischen Sozialarbeiterinnen blond sich, kann ich keinen großen Unterschied zwischen ihnen und den beiden ebenfalls im Film vorkommenden Kolleginnen aus Essen wahrnehmen. Die Tätigkeit scheint sehr ähnlich zu sein. Dies, obwohl es in Schweden doch eigentlich gar keine Prostitution mehr geben sollte. Die Bevölkerung lehnt das angeblich ab, und für jede Sexarbeiterin gibt es angeblich tolle Ausstiegsprogramme. Ich verstehe nicht wieso das als Vorbild dient.

Es dürfte doch in Schweden entweder gar keine Sexarbeitenden oder nur noch glückliche geben.
Wozu Beratungsstellen?

Von sexarbeitenden Männern und Trans ist im Land der Billy-Regale eh nie die Rede. Opfer sein kann laut diesem Verständnis nur die Frau.

Auch die beiden Sozialarbeiterinnen von Freiraum aus Essen haben der Redakteurin vertraut. Auch ihnen wurde im Vorhinein eine völlig andere Geschichte erzählt. Da die Beratungsstelle immer daran interessiert ist, ein differenziertes Bild von Sexarbeit abzubilden, haben sie gerne an der Sendung mitgewirkt. Die Beratungsstelle wies laut deren Worten sehr deutlich darauf hin, dass sie das Sexkaufverbot für eine Katastrophe halten. Es wurde in den Räumen der Beratungsstelle gedreht und viele Hintergründe dargelegt. Doch nur der medienwirksame Besuch auf dem Straßenstrich wurde in der Reportage dargestellt. Folgende Gegendarstellung zu der Reportage soll die Dinge im richtigen Licht zeigen und den Unmut über die gezeigte Reportage zum Ausdruck zu bringen.

Problematisch ist auch die Wortwahl in diesem Beitrag. Formulierungen wie „Sie begann ihren Körper zu verkaufen“ sind wertend. So ist es für Fernsehrzuschauende kaum noch möglich, DAS neutral als Tätigkeit zu sehen. Diese Tätigkeit kann gute und schlechte Seiten haben, aber um die wirkliche Beleuchtung der beiden Seiten ging es hier nicht.

Einseitige Beeinflussung auch in der Darstellung der Kollegin, Anna. Ihr Gesicht wird nicht gezeigt.Verständlich, dass sie wegen der Stigmatisierung nicht auch noch öffentlich auftreten will.

Die medial unerfahrene Frau auf einen Stuhl zu setzen und von hinten zu filmen, ist ein äußerst unglückliches Setting.

Dies Art der Darstellung kennt man sonst eher von Gerichtsprozessen. Andere Sendungen zeigen, dass es geschickte Methoden gibt, solche wertende Bildsprache zu vermeiden. Die anonyme Kollegin wird dann z.B. beim Spazierengehen mit ihrem Hund gezeigt. Kamera schwenkt auf die Landschaft, den Hund, ihre Füße, ihre Hand mit der Hundeleine oder der Zigarette...
Ich gehe davon aus, dass die Stuhlsitzposition aber bewußt gewählt wurde, denn die mediale Opferzuschreibung geht in der Sendung noch weiter.
Die besagte Rumänin spricht wirklich gut verständliches Deutsch.
Warum muss es dazu Untertitel geben? Die Untertitel vermitteln das Gefühl, dass die osteuropäische EX-Prostituierte ja sonst nicht zu verstehen wäre. Das paßt in das Bild von der ausländerspezifischen Hilflosigkeit.

Sehr gut Deutsch spricht auch Landsmännin, Jasmina, die im Alter von 15 Jahren angefangen hat. Es klingt so, als ob es völlig normal ist, in Deutschland mit 15 in der Prostitution anzufangen. Ja, es gibt diese Fälle, aber das ist selten, und es ist verboten. Und trotzdem gibt es das. Genau dieser Fall sollte uns doch eigentlich die Augen öffnen, dass es nicht härterer Gesetze bedarf, sondern dass mit Verboten der Untergrund noch mehr blüht.

Jasmina erzählt, dass sie über eine rumänischsprachige Internet Seite nach Schweden zu Arbeiten gekommen ist. Wird Schweden uns nicht immer als das Land verkauft, in dem es keinen Menschenhandel und eigentlich so gut wie gar keine Prostitution mehr gibt? Wie kann es denn sein, dass Schweden annonciert und Sexarbeitende aus dem Ausland anwirbt?

Wenn ich diesen beiden rumänischen Ex-Kolleginnen wirklich zuhöre, denke ich, dass nicht die Prostitution das größte Problem ist, sondern die Arbeitsbedingungen. Und das sollten wir verbessern.

Die Aussagen von Beratungsstellenleiterin, Julia Wege, teile ich nicht immer, aber hier bringt sie etwas Neues. Es gibt einen bestimmten Typ von Menschen, die einfach nicht Aussteigen können, sondern immer wieder zurückfallen. Ja, Ähnliches habe ich auch schon beobachtet.

Schwierig finde ich die Wertung von Julia Wege, dass die regelmäßigen Ortswechsel von Sexarbeitenden nicht als notweniges zum Job gehörendes Übel gewertet werden, sondern als Schleusung. Dass laut ihren Worten die Frauen für billiges Geld weiterverkauft werten, halte ich für eine völlig unzulässige Abwertung und Geringschätzung. Hier werden die Kolleginnen zu Opfern gemacht, obwohl sie es sehr oft nicht sind.

Dass die Traumtherapeutin, Ingeborg Kraus, nur traumatisierte Prostituierte kennt, finde ich nicht so ungewöhnlich. Wer geht denn sonst zur Traumatherapie?

Und zu Loverboy-Opfer, Sandra Norak, möchte ich sagen, dass ihre Geschichte wirklich sehr tragisch ist. Sicher ist sie mit dieser Geschichte nicht alleine und kann Leidensgenossinnen Mut machen. Es ist wichtig, dass Opfer sprechen dürfen, und es ich auch wichtig, dass sie Opfer sein dürfen.

Die eigene Leidensgeschichte darf aber nicht mit Allgemeingültigkeit belegt werden.

Hier wird ihr der Anstrich von einer die „es geschafft hat dem Elend zu entkommen“ gegeben durch die Darstellung vom Ex-Prostitutions-Opfer zur angehenden Staranwältin, die sich gegen das Unheil der Welt einsetzt. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, denn ich finde den Weg von Sandra Norak, die Schulausbildung nachzuholen und dann zielorientiert zu studieren, grundsätzlich sehr gut. Dies sollte zum Nacheifern anregen – allerdings nicht zum Verbot der Sexarbeit.

Die Evaluation des 3-jährigen Modellprojektes zum Umstieg aus der Sexarbeit hat übrigens ergeben, dass von zehn Sexarbeitenden, die aufhören wollen, neun diesen „Ausstieg“ alleine schaffen, und nur eine braucht Unterstützung.

Dem sehr engagierten und sichtlich aufgewühlten Frauenarzt Befangenheit vorzuwerfen, ist ein Prozess, der in der Kürze der Sendung schwer stattfinden kann. Er erzählt davon, dass mit seinen Klientinnen aus der Beratungsstelle schlimme Dinge gemacht werden. Damit es dann richtig ekelig wird fügt er noch das Wort „Fäkalienspielchen“ hinzu. Was auch immer das sein soll? Und für alle, die es noch nicht begriffen haben wird noch ergänzt, dann dies etwas ist, was in der Seele hängen bleibt. Außerdem haben die Frauen 14-15 Freier am Tag, und dann haben sie natürlich Schmerzen.

Oh ha. Das sind wirkmächtige Bilder.

Ja, auch ich habe Kolleginnen kennengelernt, die weit mehr als 10 Kunden am Tag im Laufhaus gemacht haben. In der Regel haben sie das nur zu Beginn gemacht und dann:

– entweder wieder aufgehört mit dem Job

– sich professionalisiert und höhere Preise genommen

– nur einen oder zwei Tage pro Woche gearbeitet

– immer nur Wochenweise gearbeitet

Und da sind wir schon bei dem Zauberworten

a) Unterstützung beim Umstieg in andere Berufe

b) Professionalisierung

Ich weise darauf hin, dass es auf dem Straßenstrich andere Regeln gelten und eine höhere Kundenfreuquenz angestrebt ist. Oft geht es dabei aber nicht um Geschlechtsverkehr, sondern „Hand- oder Mundarbeit“.

In einem solchen Beitrag darf natürlich Sex mit Schwangeren nicht fehlen. Auch die Behauptung, dass Freier keine Grenzen kennen, wird hier mehrfach genannt und nicht hinterfragt. Wo sind denn eigentlich diese Massen an brutalen, egoistischen, gefühllosen Männern?

Und wo wir schon mal bei Zahlen sind, kommt natürlich die übliche Auflistung auch in dieser Sendung dran:

„Gerade mal 40.400 der geschätzten 400.000 Prostituierten, sind als solche registriert. Vermutlich weil die meisten Opfer von Menschenhändler sind“, schlußfolgert 3SAT.

Hier ist nun wirklich das letzte Quäntchen an seriösen Journalismus gestorben.
Haben wir also mehr als 300.000 Zwangsprostituierte in Deutschland?
Das LKA weist in ihren Lageberichten eindeutig weniger als 600 Opfer pro Jahr nach.

Natürlich gibt es ein Dunkelfeld, aber so unfähig ist die deutsche Polizei auch nicht, dass ihnen fast 300.000 Zwangsprostituierte durch die Lappen gehen.

Weitere Zahlen werden in den Raum geworfen.

So soll verdi von 14,5 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr in der Prostitutionsbranche wissen. Belege und Quellen finden sich auf der Webseite der Gewerkschaft nicht.

Natürlich wird in solch einem Beitrag auch gleich ergänzt, die EU sei der Ansicht, auch freiwillige Prostitution verletze Menschenrecht. Welcher der diversen EU-Ausschüsse das gesagt haben mag - Amnesty International sagt etwas anderes. Sie stehen für die Entkriminalisierung von Sexarbeit und sagen, dass in den Ländern mit härteren Restriktionen, die Gewalt höher ist.

Der Blick auf die Kunden von Sexarbeitenden war ja gut eingeleitet durch das Interview mit dem Geläuterten. Ich denke, dass durchaus einige seiner genannten Punkte auf viele andere Sexarbeitskunden zutreffen.

Was aber wird grundsätzlich für ein Bild von Männern in dem Film dargestellt?

Wiederholende Ansagen wie „Die machen mit uns was sie wollen“ oder „ich mußte mit jedem Mann machen, was die wollen.“ zeigen mir sehr deutlich, dass es da Handlungsbedarf gibt. Das heißt für mich aber nicht Strafgesetze, sondern Empowerment, Empowerment, Empowerment.

Eine Sexarbeiterin sollte wissen oder lernen, dass sie den Kunden in der Hand hat und nicht er sie.

Wie jede gute Verkäuferin, sollte auch die Sexarbeiterin lernen, den Kunden lenken.

In meinen Abschlußworten finde ich mich zumindest wieder:

JA, ich mach das gerne.

NEIN, ich finde nicht jeden Kunden toll.

NEIN, ich habe nicht jeden Morgen Lust zur Arbeit zu gehen.

aber

JA, ich möchte diesen Job machen.

Und ein NEIN anerkennen hießt genauso auch ein JA anerkennen.


Weitere Positionierungen zum Beitrag von 3Sat:

Beratungsstelle Freiraum in Essen -> https://www.cse.ruhr/aktuell/nachricht/235-sexarbeit-ist-arbeit/

Kristina Marlen auf twitter -> https://twitter.com/KristinaMarlen_/status/1367753911931707392

Elfriede Steffan, im Film vorkommende Sozialwissenschaftlerin -> https://www.stiftung-gssg.org/wp-content/uploads/2021/03/Stellungnahme_Elfriede-Steffan_3Sat-Beitrag.pdf

bufas, Zusammenschluss der Fachberatungsstellen für Sexarbeitende -> http://www.bufas.net/offener-brief-3sat-redaktionwissen/

Deutsche STI Gesellschaft -> https://www.stiftung-gssg.org/wp-content/uploads/2021/03/Statement-DSTIG-Doku-3SAT_210322_GS.pdf

Und wer noch weitere Argumente von mir lesen möchte findet sie auf der Seite des Berufsverbandes, BesD e.V.: 10 Gründe gegen 3Sat - Prostitution: Kein Job wie jeder andere

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