Als Gastdozentin an der FH Basel

Praxisjoker im Studiengang Soziale Arbeit

Johanna Weber -- 19.12.2014   Themen: Gedanken

Universitäts-Abschluss-Hut auf einem Bücherstapel

Sogar die Institutsleiterin und drei Kollegen waren zu „meinem“ Seminar gekommen. Na klar, eine Hure, die über ihren Arbeitsalltag erzählt, bekommt man ja nicht so oft geboten. Aber irgendwie war es denn doch wohl mehr als reine Sensationsgier, denn ich bin für das nächste Jahr schon wieder engagiert.

Mein Seminar heißt: "Sexarbeit in Europa – Betrachtungen und Auswirkungen für sozialpädagogische Arbeit"

Wichtig war der FH der Praxisbezug und meine persönlichen Berichte. Ich habe aber nicht nur aus dem Nähkästchen geplaudert, sondern auch fachliche Informationen zusammengestellt. Die Vorbereitung fand ich nicht so leicht, denn ich hatte nur sehr wenig feste Vorgaben erhalten und extrem viel Handlungsspielraum. Das klingt natürlich traumhaft, aber ich wollte ja auch, dass die Studierenden möglichst viel mitnehmen.

Ja, ich habe Mal Pädagogik studiert, aber das ist weit uber zwanzig Jahre her, und zu Ende habe ich auch nicht studiert. Ja, ich habe danach etliche Fortbildungen und Schulungen geleitet... aber eine Uni ist ja doch etwas anderes als die VHS, Einkaufsverbände oder Tantra-Studios, wo ich schon Mal tätig war. Aber warum eigentlich? Auch dort hatte ich immer das Bestreben, die Inhalte so zu vermitteln, dass es den Teilnehmenden Spaß macht und sie viel davon umsetzen und anwenden können.

Ich rief mir in Erinnerung, was eigentlich die Idee hinter meinem Gastauftritt an der FH war. Einer der Basler Dozenten hatte einen Vortrag von mir auf einem Gesundheitskongress gehört. Er war sehr angetan, und es entsprang ihm die Idee, mich zu dem Thema Sexarbeit an seiner FH vortragen zu lassen. Praxisbezug nennt man das. Angehende Sozialarbeitende müssen ja gerüstet sein für die Arbeit mit zukünftigen „Klient:innen“.

Gerade in dem Studiengang müssen die späteren Absolvent:innen in der Lage sein, ihre eigenen Lebensentwürfe und Moralvorstellungen außen vor zu lassen.

Nur so können sie sich wirklich auf ihre Klient:innen einlassen, und nur so kommen die Klient:innen überhaupt zu ihnen um sich Beratung oder Unterstützung zu holen. Sozialarbeiter:innen müssen offen sein für sehr diverse Lebensgeschichten ohne diese zu ver- oder beurteilen. Wenn z.B. eine obdachlose Person in eine Beratungsstelle geht weil sie für den Winter einen warmen Schlafsack braucht, dann möchte diese vielleicht nicht in eine völlig überfüllte Notunterkunft bugsiert werden oder mit der umsorgenden Mitarbeiterin stundenlang über Möglichkeiten, wie sie eine Wohnung bekommen kann, diskutieren. Nein, er möchte einen Schlafsack, weil sie das Draußenschlafen vielleicht als ein Stück Freiheit empfindet und zu dem Zeitpunkt gar nicht aufgeben will. Das müssen gute Sozialarbeitende akzeptieren, auch wenn es für sie persönlich nicht nachvollziehbar ist.

Genau so ist es mit der Prostitution. Wer in einer Beratungsstelle für meinen Berufsstand arbeitet, der sollte kein grundsätzliches Problem mit sexuellen Dienstleistungen haben.

Wichtig ist, den Menschen, die dorthin kommen, zuzuhören. Was brauchen sie denn wirklich? Ist die Sexarbeit vielleicht gar nicht ihr Problem?

Wie sollen die Ratsuchenden sich mit ihrem wirkliches Anliegen aufgehoben fühlen, wenn alles reduziert wird auf ihre Tätigkeit als Hure und dem Ausstieg aus dem sogenannten Milieu. Vielleicht will die Person gar nicht aussteigen?

Statistiken belegen das (Quelle: Döring, Prostitution in Deutschland [1])

Gründe für Sexarbeit:

  • Hauptmotivation ist monetär → guter Verdienst
  • Arbeitsbedingungen
  • keine Qualifikation nötig
  • sofortiger Einstieg möglich
  • Zeitflexibilität
  • Selbstständigkeit
  • sofortige Entlohnung
  • Psychische, soziale oder sexuelle Gratifikation → Steigerung des Selbstwertgefühls u. d. Selbstwirksamkeit

Hauptprobleme der Sexarbeit:

  • finanzielle Probleme → Schuldnerberatung
  • Wohnungsnot
  • fehlende professionelle Identität
  • gesellschaftl. Stigmatisierung + Diskriminierung
  • Gewalt + Mißbrauch
  • ausbeuterische + instabile private Beziehungen
  • Sprachprobleme
  • Aufenthaltsstatus

Ja, und genau das „Dilemma“ wollte ich angehen. Das Dilemma der Differenzierung zwischen den vermeintlichen und wirklichen Problemen. Das Dilemma vor dem die hoffnungsvollen Nachwuchs-Sozialarbeitenden stehen.

Schwieriges Unterfangen, aber das „aufregende“ Thema Prostitution eignet sich dazu sicher am besten, denn beim Thema Sex hat ja jeder auch was Persönliches beizutragen.

Es gibt wohl niemanden, der keine Meinung zum Thema Prostitution hat. Diese Meinung basiert in der Regel nicht auf Branchenkenntnissen, sondern man ist sehr schnell bei der eigenen Sexualität und dem wie man selber es für „normal“ und „gut“ erachtet.

Ich hatte meinen Vormittag in drei Blöcke unterteilt, was sich im Nachherein als nicht schlecht erwiesen hat.

Sexarbeit in Europa – Betrachtungen und Auswirkungen für sozialpädagogische Arbeit.

BLOCK 1:
Vorstellungen, Bilder, Mythen
und wie ist es wirklich?

BLOCK 2:
Sexarbeit in Europa
und Mediendarstellung

BLOCK 3:
Blick in meinen Dominakoffer
Genierliche Fragen
Verschiedenheit der Arbeitsplätze in der Sexarbeit
Was brauchen Sexarbeitende wirklich?


Meine persönliche Botschaft an die Studierenden war:

„Ihr müßt immer wieder die Menschen fragen, fragen und noch Mal fragen. Und ehrlich zuhören. Nur so erschließen sich fremde Denkmuster und Lebenswelten.“


[1] Döring, Prostitution in Deutschland - Eckdaten und Veränderungen durch das Internet, 2014 -> https://www.nicola-doering.de/-2014-Prostitution-in-Deutschland-Eckdaten-und-Veränderungen-durch-das-Internet.pdf

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