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2002 war ein Meilenstein in der Geschichte der Deutschen Prostitutionsbewegung. Mit dem Prostitutionsgesetz (PorstG) wurde unsere Tätigkeit endlich von der Sittenwidrigkeit befreit und galt ab dann als rechtlich anerkannte Beschäftigung.
„Ach“, bekomme ich immer von Journalisten zu hören, wenn ich obiges sage, “da erzählen sie ja das Gegenteil von den anderen.“ Wer auch immer die anderen sind.
Was steht eigentlich drin in diesem ominösen Prostitutionsgesetz?
Das seht wirklich nicht viel drin, und man muss auch kein Jura studiert haben, um die 3 klitzekleinen Paragrafen zu verstehen. Ich fasse die Inhalte grob zusammen.
Im Grunde ist das komplett überflüssig, denn bis auf wenige Ausnahmen wird in der Sexarbeit immer vorher kassiert. Wichtig ist aber, was sich hinter dem Recht auf das Einklagen des Lohnes verbirgt. Das heißt nämlich, dass unsere Tätigkeit rechtlich anerkannt ist und somit nicht mehr sittenwidrig. Und genau das ist der große Schritt in die richtige Richtung. Eine Sexarbeiter:in oder Prostituierte:r kann nun mit ihrer Berufsbezeichnung ein Bankkonto eröffnen, oder eine Krankenversicherung abschließen oder sonstige Rechtsgeschäfte tätigen.
Ja, ich habe es ausprobiert bei der Sparkasse Berlin. „Guten Tag, ich bin Prostituierte und würde gerne in Konto bei ihnen eröffnen.“ Es war keinerlei Problem. Ebenso bei meiner Krankenkasse.
Was ist damit gemeint? Nun, man wollte verhindern, dass die bösen Zuhälter auch noch dieses Geld einsacken. Ich habe damals schon gearbeitet als Prostituierte (damals gab es das Wort Sexarbeiterin noch nicht) und nie einen Zuhälter getroffen. Ja, es gab welche. Wahrscheinlich auch mehr als heute, aber auch damals war es nicht die Normalität in unserer Branche, dass alle Kolleginnen geknechtet und ausgeliefert waren. Frau hat ihrem "Loddel" gerne das Geld gegeben und ihn ausstaffiert. „Ich bin eine Top Hure - Meiner muss nicht arbeiten gehen.“ Ich fand das damals schon bedenklich, aber das hatten die Kolleginnen sich definitiv selber so ausgesucht. Viele hatten auch keinen solchen "Loddel".
Juristisch egal, denn wenn §1 schon nie vorkommt, dann kommt §2 noch weniger vor.
Jetzt wird es interessant, denn hier liegen die ganzen Hoffnungen der Regierung versteckt. Damals waren die Zeiten noch wesentlich entspannter, und es wurde sachlicher debattiert. So sah man sehr richtig ein großes Problem unserer Branche, dass es wie bei vielen anderen Selbstständigen an Sozialversicherungen hapert und Altersabsicherung so gut wie gar nicht vorhanden ist. Dieses Problem wollte man angehen, durch die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Angestelltenverhältnissen. Im Grunde ist die Idee ja super, sie paßt aber leider nicht zu unserer Branche.
Darauf ist die Regierung dann auch gekommen. Angestellte sind ja weisungsgebunden. Das heißt, wenn der Chef einer Sekretärin sagt, dass sie die Unterlagen abtippen soll, dann muss sie das wohl oder übel machen. Für eine Bordellprostituierte hieße das dann, dass sie jeden Kunden machen muss. Das war natürlich für die Bundesregierung unmöglich. Nein, wie ekelig, diese schrecklichen Kunden. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass eine hauptberufliche Sexarbeiterin, so gut wie jeden Kunden von sich aus machen will, weil sie Geld verdienen will und dass sie eigentlich den Beruf verfehlt hat, wenn sie mit jedem zweiten Kunden ein Problem hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Bundesregierung hat demzufolge das Weisungsrecht der Betreibenden eingeschränkt. Ein Bordellbesitzer oder -Besitzerin darf nur noch sagen WANN und WO. Weiter darf nichts vorgeschrieben werden. Theoretisch könnten wir Sexarbeitenden also den ganzen Tag im Puff sitzen und die Fingernägel feilen und „leider“ mental nicht in der Lage sein auch nur einen einzigen Kunden zu machen. Und man dürfte uns nicht rauswerfen und müßte uns weiter bezahlen.
Natürlich kann man über Provisionsmodelle ähnlich der Taxibranche nachdenken, und es wurden auch verschiedene Musterarbeitsverträge entwickelt, aber nichts hat sich durchgesetzt. Aha, dann ist das Gesetz ja doch gescheitert, werden sie jetzt sagen. Nein, dieses Ergebnis hatten Branchenexperten vorhergesagt. Das war abzusehen.
Weil die Sexarbeitenden sehr, sehr mobil sind. Fast die komplette Branche arbeitet in mehreren Bordellen und zumeist auch in verschieben Städten. Es reicht selten aus, nur an einem Ort zu arbeiten. Auch sind Sexarbeitende sehr spontan. Wenn es in dem einen Laden nicht läuft, dann Zack… ist die Kollegin weg und wo anders. Und wenn dann die Freundin aus einer anderen Stadt von super Umsätzen berichtet, dann Zack.. geht sie dahin. Wenn die Kollegin drei Tage hintereinander eine Glückssträhne hatte und Bombenumsätze gemacht hat, dann kommt sie erst mal gar nicht mehr zur Arbeit. Egal. Wie gewonnen, so zerronnen. Wenn sie pleite ist schlägt sie wieder im Bordell auf. Ja, ein Gro der Branche ist wirklich so unterwegs. Zumindest war das früher so.
Ich beobachte, dass mittlerweile wesentlich mehr Geschäftssinn und Planung Einzug gehalten hat. Und das ist gut so.
Nichts desto Trotz, kann man ja nun sagen, dass bei dieser Flatterhaftigkeit Angestelltenverhältnisse sehr für Ordnung sorgen würden. Sie lässt sich in unserer Branche aber eben einfach nicht durchsetzen. Zumindest noch nicht. Vielleicht kommen wir da irgendwann mal hin, und es ist gut, das rechtlich die Möglichkeit dazu besteht.
Was allerdings wirklich gut war ist eine weitere Begleiterscheinung des Prostitutionsgesetzes.
Betriebsstätten, wie Bordelle, Salons, Studios usw. ja nun heißen, waren vor 2002 auch sittenwidrig. So wie ich es damals wahrgenommen habe, waren ein großer Teil der Bordelle in Händen schmieriger Typen, denen das Halblegale nichts ausgemacht hat. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich zwei super nette Vermieterinnen im Laufe der Jahre hatte. Von einer habe ich sogar die Terminwohnung übernommen, in der ich dann jahrelang ungestört selbstständig gearbeitet habe.
Ja, wer investiert schon in eine Firma, wenn man nicht weiß ob Morgen die Behörde vor der Tür steht und einem die Bude dicht macht. Ich erinnere mich an ein Wohnungsbordell in einem kleinen Reetdachhaus im Norden von Hamburg, wo mein Arbeitszimmer so grausig aussah, dass ich erst mal in den Baumarkt gefahren bin um mir Wandfarbe und Gardinen zu kaufen.
Das ist heute definitiv anders. Es gibt heute Bordelle, die sind mit Designermöbeln, Wirpools und Gesundheitsmatratzen ausgestattet. Selbst die kleinen Wohnungsbordelle haben erkannt, dass ihnen die Frauen und die Kunden weglaufen, wenn sie nicht ein wenig renovieren. Ja, unsere Arbeitsplätze sind wirklich viel schöner geworden. Und das wird komischerweise nie gesagt bei den ganzen angeblichen Auswertungen des Gesetzes.
Im Grunde sollten ja die Arbeitsbedingungen verbessert und etwas mehr Normalität für unseren Beruf gelten. Dabei war das Gesetz schon ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings kann ein Berufsstand, der seit Jahrtausenden stigmatisiert wird nicht in 10 Jahren zum Beruf wie jeder andere werden.
Gesetzestext Prostitutionsgesetz, ProstG -> https://www.gesetze-im-internet.de/prostg/BJNR398310001.html
Evaluation des ProstG -> https://www.bmfsfj.de/resource/blob/93344/372c03e643f7d775b8953c773dcec8b5/bericht-der-br-zum-prostg-broschuere-deutsch-data.pdf
Bundeszentrale für politische Bildung - Zehn Jahre Prostitutionsgesetz und die Kontroverse um die Auswirkungen -> https://www.bpb.de/apuz/155364/zehn-jahre-prostitutionsgesetz-und-die-kontroverse-um-die-auswirkungen?p=0
Stellungnahme von bufas (Zusammenschluss Fachberatungsstellen) -> http://www.madonna-ev.de/images/pdfs/Stellungnahme_2_Jahre_ProstG_o8-2oo4_u.pdf