Sexarbeitsrecherche in Belgien - Live Blog aus Brüssel

Die belgische Gesetzgebung als Vorbild - Was kann Deutschland lernen?

Johanna Weber -- 02.04.2025   Themen: Politik Persönliches ProstSchG

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Über das Thema Prostitution wird gerade im Rahmen der Koalitionsverhandlungen viel gestritten. Als ob es nicht Wichtigeres gäbe im Bezug aud die aktuelle weltpolitische Lage.

Die Frauenunion hat die komplette CDU/CSU davon überzeugt, dass der größte Teil der Prostituierten, dies unter Zwang tun und somit diesem Mißstand nun endlich ein Ende gesetzt werden muss. Alle bisherigen Versuche zu gesetzlichen Regelungen sind laut deren Meinung gescheitert und so müssen nun drastischere Methoden ran: Das Sexkaufverbot, welches an das aus Schweden stammende nordische Modell der Freierbestrafung angelehnt ist. 1) Die ganze Thematik ist natürlich viel komplexer, aber darum soll es hier nicht gehen.

Es wird Zeit über Alternativen nachzudenken, jenseits des Sexkaufverbotes.

Deshalb fahre ich nach Belgien. Ich bin ja die politische Sprecherin des Berufsverbandes für Sexarbeitende in Deutschland, BesD.

Seit mehr als 10 Jahren agieren ich und der BesD gegen das nordische Modell. Aber was sind denn die Alternativen? Natürlich haben wir viele Ideen, aber ich brauche mehr Handfestes. Man muss das Rad ja nicht neu erfinden, wenn es woanders schon gute Konzepte gibt.

Belgien ist das erste und bisher einzige Land in Europa, welches einen anderen Weg geht. Belgien geht den Weg der vollständigen Entkriminalisierung von Sexarbeit. Was heißt das? Im Grunde heißt das, dass Sexarbeit als Arbeit gesehen wird und rechtlich genauso behandelt wird wie andere Berufe auch. Mir geht es dabei um Arbeitsrechte & Arbeitsverträge, Entstigmatisierung, Umgehen mit Menschenhandel, ... Ich habe viele Fragen im Gepäck.

Aber ich will auch ein wenig Urlaub machen in Belgien und Fritten und Waffeln essen, Comics lesen, Niederländisch üben.... Das lasse ich dann immer mal mit einfließen in meine Berichte.


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Montag, der 7.4.

Die Reise sollte entspannt anfangen, und so nahm ich den Zug ab 10:00 von Berlin. Im völlig überfüllten ICE bekam ich dann die Info, dass mein Anschlusszug von Köln wahrscheinlich der letzte sei nach Brüssel. Danach Streik der Bahnmitarbeitenden in Belgien. Ich bin ja immer für Arbeitsrechte, und Streik ist ein rechtlich verankertes Mittel dazu. Und gerade Arbeitsrechte sind ja ein Grund für meinen Besuch in Belgien. Bei allem Verständnis für Streiks mußte ich aber zugeben, dass ich froh war, meinen Zug noch erreicht zu haben.

Und was mache ich dann als erstes in Brüssel? Pommes essen und Straßenstrich aufsuchen. OK, Pommes heißt hier ja „Friet oder Frieten“ und ich muss mich entscheiden, welche der 30 verschiedenen Soßen ich nehme. Herrlich. In Belgien muss man Fitten essen. Ich hatte mir die Touribude ausgesucht gegenüber vom Manneken Pis Dann kann man mit der Fitten-Tüte in der Hand die dauerfotografierenden Touris beobachten. Irgendwie brauchte ich das an meinem ersten Tag hier.

Aber nun zu den wichtigen Dingen.

Die Straßenstriche und Schaufensterstraßen in Brüssel

Alle folgenden Infos sind aus dem Internet gemischt mit meiner eigenen Beobachtung. Ich habe ja mein Klapprad dabei und kann mich in der Fahrradstadt Brüssel prima fortbewegen. Ich wollte mir erst mal nur einen Überblick verschaffen. Bin ja schließlich einen ganze Woche hier, und habe noch Zeit.

STOP 1)
Gay-Service -> Place Fontainas
Mitten in der Stadt findet sich dieser wirklich schöne Platz, der etwas abseits von der touristischen Pfaden liegt. Ich habe nur 1-2 "Jungs" dort gesehen, aber ich habe da auch nicht so den Blick dafür.

STOP 2)
"In der Rue des Commercants" - Straßenstrich und Lovehotels
Die Straße liegt eigentlich sehr zentral am Rande der sehr belebten Innenstadt von Brüssel. Ich habe dort ca. 6 Damen auf der Straße gesehen. Alle in der Nähe, einer rotblinkenden Zimmervermietung. Das Bild der Damen war mir sehr geläufig. Nicht anders als in Berlin auf der Kurfürstenstraße. Eine der Damen stand total gelangweilt an der einen Straßenecke. 8m entfert auf der anderen Straßenecke standen drei und plauderten und rauchten. Etwas mehr in der Seitenstraße standen noch mal zwei dicht beieinander und quasselten irgendwas Lustiges. Naja, das Internet sagt, dass in diesem Bereicht die Prostitution eigentlich abgeschafft werden sollte... Das sind dann also die Überreste.

STOP 3)
Rue Ascherot und Rue de Brabant - Schaufensterstraßen am Nordbahnhof
Die Rue Ascherot kannte ich schon von meinem letzten Besuch in Brüssel, wo ich tatsächlich zufällig dort landete. Ich war erstaunt und auch fazsiniert, wie viele Schaufenster sich dort nebeneinander am Bahndamm entlang aufreihen. Ich dachte damals erhört ja gar nicht mehr auf. Als Vorbeigehende frage ich mich damals immer, wie ich mich am besten verhalte, denn ich kann die Frauen ja schlecht angaffen. Ich habe ja nicht auf der Stirn geschreiben, dass ich eine Kollegin bin. Diesmal hatte ich ja schon meine Arbeits-Erfahrung aus dem Laufhaus in Kiel im Gepäck 2) , und ich erinnerte mich mit Schaudern an das ewige Rumstitzen und warten und warten und warten. Wie viele Kunden haben die Damen am Ende des Tages wirklich gehabt? In den Medien liest man immer von bis zu 20 Kunden, aber ich bin mir komplett sicher, dass das Quatsch ist. Im Laufhaus war die Quote eher 3-5. Und ich hatte irgendwie das dumpfe Gefühl, dass es hier ähnlich ist. Die Frauen waren alle jung (also jünger als 30) bis auf eine Ausnahme. Outfits entsprechen anscheinend einem aktuellen Trend, denn in der Herberststraße in Hamburg und der Antoniusstraße. In Aachen sieht es ähnlich aus: Stringtanga mit Spitzen und passender BH dazu oder sehr luftiger Body. Dazu die üblichen Plateau-Pantoletten.

STOP 4)
Avenue Louise - etwas noblerer Straßenstrich
Eine ewig lange Straße, die immer gerade aus läuft. Aber sie hat einen fetten Radweg und in der Mitte ist sie begrünt. Die Gegend ist keine Schlechte. Und das Europaviertel, wo das EU-Parlament tagt, ist nicht so weit weg. Ich habe zwei Damen gesehen. Aber wahrscheinlich war ich noch zu früh da. Laut Internet soll es dort ja ab Mitternacht voll von Sexworkern sein. Die Preise sollen höher sein als an den andren genanntern Orten.

Und nun gehe ich ins Bett.


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Dienstag, der 8.4.

Heute war ich mit einer Kollegin unterwegs. Ich kenne sie über meinen Berufsverband., denn sie ist auch ab und an in Deutschland am Arbeiten. Jade ist deutschsprachig, und als Brüsselerin spricht sie natürlich französisch und auch niederländisch. Die beiden Sprachen hat sie sich selber beigebracht. Englisch kann sie natürlich auch.
Da kann ich ja leider gar nicht mithalten, freue mich aber, dass ich nun Deutsch sprechen darf.

Jade gibt erotische Massagen, aber der Schwerpunkt liegt oft mehr auf der Erotik, was sie prima findet, denn sie arbeitet keinen festen Ablaufplan ab. Sie hat aber schon verschiedene Arbeitsplätze von Dorfbordell bis Saunaclub ausprobiert. Sie ist dabei genauso experimentierfreudig wie ich. Saunaclub allerdings in Deutschland, denn in Belgien gibt es sowas fast gar nicht.

Jade führt mich an diesem Tag durch das heimliche Rotlichtviertel von Brüssel.

Heimlich, weil es von außen nicht zu erkennen ist.
Es handelt sich um die „Rue de Livourne“.
Wir spazierten durch die lange Straße, und gefühlt war hinter jedem dritten Eingang ein erotische Gewerbe. Von außen nichts, wirklich nichts zu erkennen. Naja, jetzt wo ich es weiß, sehe ich das auch.
Man schaut dann anders.
Wenn in manchen Häusern eben alle Gardinen geschlossen sind, oder die Eingangstür immer offen steht.

So ist es bei einem der dortigen Stundenhotels.

Es gibt dort drei, von denen zwei eher der etwas „billigen“ Kathegorie angehören und eine Renovierung den Zimmern nicht schaden würde. Das dritte ist in einer anderen Straße und sieht sehr ansprechend aus von außen. Da kostest das Zimmer dann aber nicht 40, sondern 85 Euro für eine Stunde. Das ist für Sexworker, dann oft doch etwas viel.

Preise sind in Deutschland ähnlich. Und die günstigen Stundenhotels werden gerne von Sexworkern genutzt. Das ist in der Regel NULL Problem, denn den Inhaber*innen ist es egal wer da in den Zimmern was mit wem macht.

Früher gab es in der „Rue de Livourne“ sehr viele Champagnerbars.

Die sind aber mit der neuen belgischen Gesetzgebung fast alle verschwunden. So ähnlich war es in Deutschland auch. Von den legendären Champagnerbars besonders in Berlin rund um den Kudamm höre ich immer wieder mal. Dort ging es offiziell nicht um Prostitution, die in den Hinterzimmer stattfand, sondern um den Barbetrieb.
Damals war zwar Prostitution mehr oder weniger erlaubt aber Bordelle nicht, und so war man eben erfinderisch. Die Damen waren sogenannte Animierdamen und verdienten mehr mit dem Getränkeverkauf als mit dem Zimmerservice. Wer kennt nicht die alten Slapstik-Filme, in denen die Damen dann immer ihr Sektglas in den Blumentopf kippen…
Das gibt es heutzutage nur noch sehr selten. Nein, nicht das Blumentopfkippen ist selten geworden, sondern die Champagnerbars.
Und dieser Entwicklung bin ich heute auf die Spur gekommen, denn in Belgien ist das Verschwinden noch ganz neu.
Eine Champagnerbar im Rahmen meiner exotischen "Stadtführung" war noch sehr deutlich zu erkennen von außen, aber nun Zimmervermietung. Wir in Deutschland nennen das Terminwohnungen, denn da mieten sich die Sexworker in der Regel für eine Woche ein und zahlen eine feste Miete. Die Preise sind ähnlich wie in Deutschland und liegen bei rund 500 Euro die Woche.
„Was so teurer????“
Nein, das ist nicht teuer, denn das kann sich richtig lohen, aber dazu schreibe ich an einem anderen Tag was.

Ich möchte zurückkommen auf das Verschwinden der Bars im Zusammenhang mit dem neue Gesetz. Endlich ist es legal ein Bordell oder egal was für einen Arbeitsplatz für Sexarbeit anzubieten. Anscheinend ist dann das Konzept der Champagnerbar nicht mehr so spannend. Auch erzählte mir Jade, dass es auf dem Land oft Probleme mit der Gemeinde gäbe, denn das Ziel in einer Champagnerbar ist ja, die Kundschaft möglichst abzufüllen. Und die kommen natürlich alle mit dem Auto und fahren dann besoffen nach Hause…

Das heißt, legale Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit verändern den Markt positiv.


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Mittwoch, der 9.4.

Heute war ich verabredet mit Daan von der berühmten Beratungsstelle UTSOPI,

Wo diese dann mit ihren Kunden hingehen, das werde ich Morgen erfragen wenn ich bei der rennomierten Beratungsstelle UTSOPI, welche mitten im Rotlichtviertel von Brüssel sitzt und entschieden an der neuen Gesetzgebung mitgearbeitet hat. Davon können wir in Deutschland nur träumen.
Ebenfalls träumen können wir von solchen Räumlichkeiten, die als Treffpunkt für Sexworker, zum Vernetzen oder für Fortbildungen und alles mögliche genutzt werden können. Es gibt auch eine kleine "Klinik", wo Untersuchungen und Tests möglich sind. Mein englisches Fachvokabular reicht leider nicht aus für Details, aber das Angeot wird gut angenommen, denn auf dem Flur gab es eine Reihe wartender Kolleg*innen.

Und wie wird das alles finanziert?

Sie haben vier Stellen (wenn ich das richtig verstanden habe), die zum Teil von Stiftungen und zum Teil von der Regierung gezahlt werden. Ich wußte das ja schon vorher, sonst hätte ich wahrscheinlich Schnappatmung bekommen. Sowas ist in Deutschland für den BesD völlig undenkbar. Aber UTSOPI ist ja auch keine reine Sexworker-Organisation, so wie es der BesD ist. Es gibt bei UTSOPI auch Nichtsexworker, die dort arbeiten oder sind sonstwie einbringen. Sexworker sind aber in der Mehrzahl.

Aber auch darum sollte es ja heute nicht gehen.
Ich hatte mir eine lange Liste an Fragen zum "Belgischen Modell" mitgebracht.

Mein Gesprächspartner, Daan, gehört zu den Nicht-Sexworkern. Er war Journalist und hat immer viel über Politik allgemein und queere Politk, Sexarbeit und alles drum herum geschrieben. So wurde er dann mehr oder weniger zu einem der Vorkämpfer für die Rechte von Sexarbeitenden in Belgien.

Wie war die Situation in Belgien vor der neuen Gesetzgebung?

Das war durchaus vergleichbar mit der Situation bei uns in Deutschland vor 2002, also vor dem Prostitutionsgesetz. Sexarbeit war erlaubt aber Rechte gab es keine.
Prostitutionsstätten waren nicht erlaubt, aber es gab sie trotzdem überall. Alles wurde irgendwie anders benannt und dann geduldet oder ignoriert.
Darin ist man in Belgien eh viel besser als wir in Deutschland.
In Deutschland muss ja alles ordnungsgemäß geregelt sein, dann fühlen wir uns wohl.
Während man in Belgien eine große Spur vom französischen "Laissez-Faire" hat. Daan nannte das "policy of tolenrance".

Unterschied zwischen deutschem ProstG und belgischen Gesetz.

In Belgien setzt man komplett auf Arbeitsrechte. Sexarbeit wird wirklich als Arbeit behandelt. Bei uns in Deutschland brachte das ProstG auch die Möglichkeit zu Arbeitsverträgen für Sexworker. Das entpuppte sich aber als komplett praxisfern und fand so gut wie gar keine Anwendung.

Warum wurde die Möglichkeit zu Arbeitsverträgen nicht angekommen in Deutschland?

  1. Sexworker wollen frei entscheiden, wann sie wo arbeiten. Sie sind oft und viel auf Reisen. Gefühlt verdienen sie als Selbstständige auch mehr.

  2. Betreibende haben ein eingeschränktes Weisungsrecht und dürfen den Sexworkern nicht vorschreiben, welche Kundschaft sie zu machen haben. Theoretisch könnten Sexworker also den kompletten Tag im Bordell sitzen und Kaffee trinken und jeden Gast ablehnen. Trotzdem bekämen wir ja das Gehalt.

Genau an diesen Punkten ist hier in Belgien aber gearbeitet worden.

zu 1)
Die Arbeitsverträge müssen so kurz und einfach sein, dass sie auch bei häufigen Wechsel problemlos ausgefüllt werden können. Das leuchtete mir ein, denn ich habe mal in der Schweiz in einem Bordell im Kanton Luzern gearbeitet, und dort war es vorgeschrieben, dass wir alle angestellt sind. Ich fand das sehr komisch, aber es ging wirklich sehr schnell mit den Formalitäten.
In Belgien sind Sexworker nicht so viel auf Reisen wie in Deutschland. Das Geschäft scheint hier auch besser zu laufen.
Ich erzählte von meinen ernüchternden Erfahrungen im Laufhaus in Kiel, wo ich schätze, dass der Kundenschnitt eher 3-4 pro Tag ist.
Nein, sagte Daan, das sei hier schon mehr.
So 5-8 hätten die schon.
OK, das ist nicht schlecht. Da muss man dann nicht rumreisen.

Daan erzählte weiter, dass diese Regelungen ja noch ganz neu seien, und sich das ja erst entwickeln müsse. Der Impuls zu solchen Verträgen ginge eher von den Betreibenden Prostitutionsstätten aus. Und da täte sich aber langsam was.

Das zeigt also ganz deutlich, dass die Betreibenden stark mit eingebunden werden müssen in Pläne für Anstellungsverträge. Das wäre in Deutschland theoretisch sogar noch einfacher möglich, denn die haben ja schon über 20 Jahre Erfahrung mit Legalität und viele Betriebe sind erfreulich professionell aufgestellt.

zu 2)
Mit dem Weisungsrecht sind wir schon wieder bei den Betreibenden. Niemand in der deutschen Politk will gerne mit denen Reden. Das muss sich ändern, denn das sind gute Arbeitsplätze oder könnten es zumindest sein.

Auch sollte es einfacher gemacht werden eine Prostitutionsstätte zu eröffnen. Das antiquierte Stadtplanungsrecht und die Sperrbezirke machen es fast unmöglich. Und so gibt es eben nur wenige Sexworker, die einen eigenen "Laden" aufmachen. Auch hier könnte der Gesetzgeber leicht Änderungen vornehmen.

Nun aber zum Weisungsrecht.
Natürlich sollte einem Sexworker nicht vorgeschrieben werden, welche Kundschaft sie/er zu machen hat. Die Belgier haben sich dazu auch Gedanken gemacht. Die Regelung klingt für mich persönlich etwas befremdlich, aber der Ansatz ist sehr gut. Wenn 10 Kunden abgelehnt wurden, dann kann eine Mediation in Anspruch genommen werden. Liegt es vielleicht auch am Arbeitsplatz?

Daan ist total überzeugt, dass Arbeitgeber*innen ja ein Interesse daran haben, langfristig und gut mit den Angestellten zusammenzuarbeiten. Ich bin halb skeptisch, aber je mehr ich drüber nachdenke, sehe ich das wirklich als Chance.
Gerade Bordellbetreibende freuen sich über gute Frauen, die regelmäßig und zuverlässig da sind, die die Abläufe des Hauses kennen und vielleicht auch dazu beitragen das noch besser zu machen. Das lohnt sich dann ja für beide Seiten.

Anstellungsverträge für Sexworker und Anonymität?

Dazu hatte Daan auch gleich eine Antwort parat. Leider ist das Stigma ja immer noch ein sehr großes Problem, welches die komplette Sexarbeitsbranche einschließt.
Ein Anstellungsvertrag kann in dem Zusammenhang nur funktionieren, wenn Prostitution als Tätigkeit nicht zu erkennen ist.
In Belgien fällt Sexarbeit arbeitsrechtlich in die Gruppe der Hotel und Gaststätten - auch viele Berufe, die sonst in keine Schublade passen finden sich in der Gruppe. So ist der Begriff "Coach" sehr beliebt bei Sexworkern.

Ich will nun nicht noch weiter ins Details gehen, aber Arbeitsrechte sind etwas, worum ich mich in den nächsten Wochen und Monaten intensiv kümmern werde.

Daan und ich hätten noch tagelang weiter reden können. Wir hatten noch viele andere Themen. Immer wieder kamen wir auf das STIGMA. Auch dazu hat UTSOPI schon einige gute Maßnahmen entwickelt. Mehr dazu an einem anderen Tag.


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Donnerstag, der 10.4.

Heute war ich in der Stadt Liège. In Deutschland wird gerne Lüttich gesagt, aber irgendwie kommt es mir komisch vor, die Stadt so zu nennen.
In Liège war heute Sexarbeits-Stammtisch. Aber die heißen hier nicht Stammtisch, sondern LTY, was die Abkürzung ist für „Listen to you“. Die LTYs gibt es über ganz Belgien verstreut und werden von UTSOPI betreut. Infos finden sich hier -> https://www.utsopi.be/listen-to-you-calendrier

Begleitet hat mich die Kollegin Jade, die ihr ja vom 2.Tag schon kennt. Eigentlich muss man sagen, dass ich sie begleitet habe, denn sie wollte unbedingt dorthin, um mal die Kolleginnen dort kennenzulernen. Ich war ja etwas zögerlich, denn Liége ist eindeutig französischsprachig, und da bin ich mit meinem 40 Jahre alten Schulfranzösisch eher fehl am Platze. Aber Jade wollte übersetzen, und sie meinte, dass sicher auch einige Englisch könnten.
OK, ich kam also mit.

In den Räumen irgendeiner Gesundheitsorganisation, wartete in der Küche ein mit Snacks und Getränken gedeckter Tisch. Auch Wein gab es.
Das sei nicht immer so, wurde mir gesagt, aber hier in Liége würden die Damen das super finden und alle was mitbringen.
Von UTSOPI war Daphe da. Viel hatte ich schon von ihr gehört, und freute mich, sie auf diesem Wege kennen zu lernen. Es waren außer den schon Erwähnten noch 3 Damen da - eine mit Hund. Was und wo die arbeiten habe ich gar nicht erfahren oder nicht verstanden, denn das war auch irgendwie egal. Alle konnten Englisch, aber ich fand das komisch, dass sie wegen mir alle sich verbiegen müssen, und so wurde es ein lustiger Wechsel zwischen Französisch und Englisch.

Was habe ich mitgenommen?

Ich schreibe dies ja erst ein Paar Tage später auf, denn ich habe doch viel drüber nachgedacht. Über Community Building und Stammtische.

Der BesD bietet selber keine Stammtischen an, aber er unterstützt Sexworker, wenn sie in ihrer Stadt einen gründen wollen.
Es gibt leider wenige Sexworkerstammtische, die wirklich gut funktionieren.
Nein, dabei ist nicht das Problem die Sexarbeit, sondern dass man zu einem Stammtisch ja immer nur geht, wenn man Zeit und Lust hat. Also, wenige kommen jedes Mal.
Da sitzt die organisierende Person dann auch schon mal alleine da, oder es kommt nur eine einzige Kollegin, und das ist gerade die eine, mit der man sich nicht so viel zu erzählen hat.

Die belgischen Stammtische laufen auch nicht von alleine, sondern es ist immer eine von UTSOPI dabei oder nimmt das zumindest in die Hand.
Das kann der BesD in Deutschland nicht leisten.
Hier findet sich eine Liste von Stammtischen, die aber dringend überarbeitet werden muss, denn sie ist nicht komplett aktuell -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/workshops-und-stammtische

Welche eigenständigen Stammtische funktionieren?

  • Es müssen mindestens 2 besser 3 Personen sein, die dafür zuständig sind. Dann können diese sich abwechseln und wenn eine mal krank ist oder in Urlaub oder keine Lust mehr hat, dann bricht nicht alles zusammen.

  • Gut läuft das Sexworker-Frühstück in Leipzig, was sogar eine Kinderbetreuung bietet. Dort gibt es aber eine sehr, sehr emsige Person, Mia Rose, die sich leidenschaftlich drum kümmert und eine sehr engen Dunstkreis aus Menschen, die helfen und fast jedes Mal kommen. Hier die Story dazu, von der Gründerin Lydia geschrieben -> https://www.berufsverband-sexarbeit.de/sexarbeits-fruehstueck-in-leipzig-lydias-traum-wird-wahr/

  • Gut laufen auch die Stammtische oder Stammtisch-Termine, die an den Abenden ein Thema haben oder sogar eine referierende Person. Z.B. Steuern, Internetseiten, sicheres Arbeiten, Stammkundengewinnung,…

Ich frage mich immer, warum es so mühseelig ist, einen Stammtisch ins Leben zu bringen und am Leben zu halten.

Sollten nicht alle Sexworker ein Bedürfnis haben sich zwanglos mal mit Kolleginnen über ihren Job zu unterhalten? Sexarbeit ist ja hochstigmatisiert, und man kann sich im Alltag mit Freunden und Familie ja zumeist nicht so gut austauschen. Aber anscheinend scheint das Bedürfnis doch nicht so hoch zu sein.

Ich denke aber, dass hier noch viel getan werden kann. Und der BesD hat hier noch echte Aufgaben.

Einer meiner Punkte ist jedoch, dass zu diesen Stammtischen ja nur Deutsch- oder Englischsprachige kommen. Die am häufigsten vertretenen Sprachgruppen in der Sexarbeit sind Rumänisch und Bulgarisch. Wir hatten im Berufsverband mal ein Konzept für Comunitybuilding in verschiedenen Sprachgruppen. Leider wurde das nie umgesetzt,. weil das Geld dafür fehlte.
Ich werde das im Laufe diesen Jahres wieder rauskramen. Und dann wird sich das Geld schon finden.


1) hier einige Blogbeiträge zur Erklärung und Auswirkungen des Sexkaufverbotes / nordisches Modells

Sexarbeits-Alltag unter dem nordischen Modell
Was wäre wenn? Sexkaufverbot in Deutschland? Meine Überlegungen dazu

Antworten auf viele gängige Fragen zu Sexarbeit/Prostitution
Schwedens Polizei überwacht Telefone von Sexarbeitenden zum Kundenfang


2) meine Tagesberichte aus dem Laufhaus in Kiel:

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