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„Nein, bei sowas können wir nicht mitmachen.“ Einigkeit herrschte im Berufsverband als die Anfrage von Kabel eins kam. Es sollte eine vierteilige Serie über Prostitution in Deutschland gedreht werden. Die „Prostitutions-Szene“ in vier verschiedenen Städten sollte beleuchtet werden. Das Expose las sich wie der übliche Müll aus Sex-sells, Schmuddeligkeit, Elend und der massentauglichen Schubladeneinteilung von der Frau als Opfer und dem Mann als Täter.
Und damit das auch wirklich der letzte Fernsehzuschauende kapiert, gibt es in der Regel einen Sprecher der mit pseudoseriöser Stimme das Geschehen kommentiert: „Johanna Weber sagt, dass sie das freiwillig macht, aber ist sie wirklich glücklich?“ Danach wird dann gerne eine Traumtherapeutin gezeigt, die zu wissen vorgibt, dass alle Prostituierten traumarisiert sind.
Da dies einfach als Tatsache hingestellt wird, zeichnet sich das Bild von einer egoistischen etwas in die Jahre gekommenen Prostituierten, die sich sehr engagiert für ihre eigenen Belange einsetzt und der das Schicksal Tausender junger Migrantinnen, die bei uns in Deutschland versklavt werden, ja völlig egal ist. Außerdem weiß man ja, das Lobbyisten fürstlich bezahlt werden – in diesem Fall von der Prostitutionsindustrie. Gerne wird dann ja noch weiter gegraben und herausgefunden, dass Weber selber ein Studio in Berlin betreibt und dort arme Frauen für sich arbeiten läßt.
Naja, was soll ich dazu noch sagen?
Soll ich sagen, dass ich ehrenamtlich im Vorstand des Berufsverbandes arbeite und mich für die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in unserer Branche einsetze, und dass ich mit meinem eigenen Studio in Berlin Konzepte für gute Arbeitsplätze in der Sexarbeit entwickeln möchte? Und dass ich außerdem zu den besten Pferden in meinem eigenen Studiostall gehöre?
Das glaubt mir ja keiner.
Da stellt sich definitiv die Frage, ob es nicht schlauer ist, bei solcherlei Sendungen gar nicht mehr mitzumachen. Doch die Regisseurin kam nicht von Spiegel-TV, welche die Sendung aufgenommen haben, sondern sie wurde von außen engagiert. Sie hat früher mal „Wahre Liebe“ mit Lilo Wanders gemacht. Und ich dachte, dass eine solche Person ja sicher einen lebendigen und offenen Film drehen würde. Aber meine Unsicherheit wurde mir erst von der Kollegin, Kat Rix, genommen. Sie sagte, dass es super wichtig ist, wenn wir Sexarbeitenden immer wieder auftauchen in den Medien. Wenn wir schweigen wird es noch schlimmer, denn die Gegenstimmen gehen zu jeder Sendung. Auch die Gefahr, dass unsere Kommentare eventuell völlig zerpflückt werden und im anderen Kontext dargestellt werden, warf sie mit einer lässigen Handbewegung hinfort. Davor hätte sie keine Angst. Wir dürfen nicht schweigen.
Und so trafen Kat Rix, und ich uns mit der Regisseurin zum Kaffee. Es war Sommer, die Sonne schien, und die Stimmung war prima. Ja, wir verstanden uns auf Anhieb, und das hat mir Mut gemacht. Ich wußte, dass es ein guter Film wird. Ich wußte aber auch, dass der Film bei den Chefs der Sendeanstalten nicht so gut ankommen würde. Aber die Regisseurin sicherte uns zu, dass sie für den Film kämpfen würde.
Und das hat sie getan.
Ja, sie hat wirklich gekämpft und selber viel über Vorurteile und plakativen Journalismus dabei gelernt.
Der Bericht über Berlin, so wie er eigentlich werden sollte, war ein Gesamtkunstwerk. Nein, Probleme der Sexarbeit wurden nicht ausgespart, aber es wurden Menschen gezeigt, die erzählen durften und von der Kamera begleitet wurden. Keine schnellen Schnitte, sondern Geschichten. Spiegel Deutschland, unter deren Regie die Serie läuft, war dann sogar einverstanden mit dem Film. Aber Kabel1, die den Film ausstrahlen, war gar nicht angetan. Zu langweilig, zu wenig Fakten, zu künstlerisch, ….
So wurde der wunderschöne Beitrag umgemodelt, zerstückelt, Sachen rausgeworfen, und die üblichen mehr oder weniger frei erfundenen Statistiken eingeblendet.
Gleich zur Eröffnung kommen die bekannten Bilder vom Straßenstich und dem Dreck und dem Elend. Nein, jetzt wo ich dieses schreibe, habe ich den Film noch nicht gesehen, aber es wurde mir erzählt. Auch soll es den üblichen sonoren Sprecher geben....
Komplette Szenen und Personen wurden rausgeschnitten, aber interessanterweise sind Kat Rix, und ich fast in der ganzen ursprünglichen Länge im Film geblieben. Und wir haben wirklich gute Sachen gesagt. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir drin bleiben und das Risiko eingehen.
Ich hoffe, dass wir unsere Entscheidung nicht bereuen werden.
Die Aufnahmen wurden im Studio Avalon in Berlin Spandau gemacht, bei denen ich mich herzlich für die wunderbare Unterstützung bedanke. Leider gibt es das Studio inzwischen nicht mehr.
Die dazugehörige Residenz steht aber nach wie vor zu Vermietung zur Verfügung.