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Es ist ein interessantes Gefühl wenn einem bei einer Ausstellungseröffnung das eigene Gesicht auf Leinwand entgegenleuchtet. Gut hing ich da. Zwischen den migrantischen Kolleginnen vom Steindamm, den Strichern, den Bordell- und Barbesitzern und meiner Kollegin Undine.
Ja, das ist St.Georg. Wehmut schlägt in meinem Herzen, denn ich habe diesen exotischen Ort als Wohnstätte vor 1,5 Jahren gegen Berlin Kreuzberg ausgetauscht. Alles ist so vertraut.
Wunderbare Bilder von Personen, die der Prostitution in St.Georg ein heutiges Gesicht geben..
Bilder, die Geschichten erzählen. Bilder, die viel mehr sagen als alle Worte.
Da ist Mehmed, der gemeinsam mit seiner Frau, Liliana, das lebendige Lokal Hansa-Treff betreibt. Ein wunderschönes Bild von den beiden. Stark und stolz sehen sie aus. Ja, die Künstlerin, Tanja Birkner, hat wirklich ein Händchen für Menschen und Situationen.
Ob wohl alle, das Bild von den beiden so sympathisch finden? Oder sehen viele gar nicht die lieben Augen, sondern sehen nur die nervigen Inhaber einer Stricher-, Nutten- und Transenkneipe, die den Hansaplatz verschandeln? Ja, so wird vielerorts gedacht, denn Mehmed mußte sehr lange drum kämpfen, dass er genau wie die anderen Lokale am Hansaplatz Stühle draußen aufstellen durfte.
Ausgerechnet er, wo doch bei ihm im Hansa-Treff jeder willkommen ist. Selten habe ich Gastfreundlichkeit so wirklich und ehrlich gespürt, wie dort. Und Mehmed kämpft wie ein Löwe für sein St.Georg und für die Menschen auf der Strich. Mehmed tut seine Meinung öffentlich kund und macht sich damit Feinde aber auch viele, viele Freunde. Der Hansa-Treff ist mehr als eine Kneipe. Dort finden die Anschaffenden einen Platz zum Ausruhen, einen Platz, wo sie sicher sind vor den Restriktionen der Polizei. Für viele ist der Hansa-Treff ein zweites oder sogar erstes Zuhause.
Viele auf dem Strich sind obdachlos. Auch das zeigt die Fotoausstellung sehr schön durch die eindringlichen Begleittexte der Fotografierten.
Die Künstlerin hat nicht nur Bilder gemacht, sie hat auch zugehört. Gut zugehört.
Es fühlt sich gut an mit ihr zu reden. Endlich hört Mal jemand zu, was man zu erzählen hat über den Kiez, über die Arbeit in der Prostitution.
Da ist Emilia. Sie ist 78 Jahre alt. Jahrelang hatte ich sie aus meinem Küchenfester beobachtet. Gepflegt und seriös sieht sie auch, die alte Dame. Ich habe mich immer gefragt, wer sie ist. Immer wollte ich sie Mal ansprechen, aber man kommt ja nie dazu. Die Ausstellung hat mir ihre Geschichte verraten, und ich mußte schlucken als ich sie las.
„Ich dachte hier ist der Garten Eden, aber das war nicht der Garten Eden.“
Sie wollte zurück nach Polen zu ihrer Familie und sich dort zur Ruhe setzen, aber die Ausstellungsmacherin ergänzt diesen Wunsch mit den Worten: „Emilia ist nach Hamburg zurückgekommen. Sie konnte nicht bei ihrer Familie bleiben. Sie arbeitet weiterhin auf der Straße und ist obdachlos.“ Auch das ist St.Georg.
Die Polizei läßt Emilia Gott sei Dank in Ruhe. „Die Szene verändert sich. Wir werden von der Polizei gejagt. Aber die sind vor allen auf die Bulgarinnen und Rumäninnen konzentriert.,“ so die Einschätzung von Miriam, die durch ein Bild von sich im Tropenhaus von Planten und Blomen auffällt. Auf dem Bild ist nur ihre weiße Mütze zu sehen. Wie fast alle möchte sie ihr Gesicht nicht zeigen. Wie sollten sie auch, wo sie doch alle illegal in St.Georg arbeiten.
In St.Georg ist die Straßenprostitution verboten. Wer weiter dort arbeitet hat keine Rechte mehr.
Der Arbeitsalltag ist bestimmt von der ständigen Angst vor der Polizei. Ständiges Schauen, ob wieder einer von denen um die Ecke kommt.
Ein Polizist erzählte mir Mal, dass es das auch „Scheiße“ findet, denn er wäre seit 10 Jahren dort und kenne doch alle, die regelmäßig dort anschaffen. Er kenne deren Geschichten, und jetzt müßte er ihnen Bussgelder aufdrücken.
Ja, auch eine Art von Zwang so ein Job bei der Polizei...
„Ich kam hierher und habe versucht Arbeit zu finden, aber daraus wurde nichts, weil ich kein Deutsch sprechen konnte. Deshalb arbeite ich jetzt hier.“
So die 23jährige Faghira. Und immer wieder liest man, in den Texten, wie unmöglich es ist in den Heimatländern von den dortigen Löhnen zu leben.
Auch die Stricher werden dargestellt. da ist Jonny, der mit 14 angefangen hat und manchmal auch als Diva rumläuft auf 12cm-Absätzen. Da ist Christian, dem das schnelle Geld gefallen hat und der sich jetzt ehrenamtlich für die „Jungs“ engagiert.
Ja, das ist St.Georg.
Ich selber wohnte sieben Jahre direkt am Hansaplatz und konnte von meinem Küchenfester der Gentrifizierung zuschauen.
Es scheint, als ob St.Georg alle Zwischenstufen auslassen will um direkt durchzustarten vom absoluten Schmuddelviertel zum Top-Standort. Alles, was den Wert von Immobilien mindern könnte muss weg. Huren, Penner, Drogenabhänige, Sozialhilfeempfänger, WGs, Ausländer, ... aber wir sind ja nicht rassistisch, denn das gilt auch für Lärmquellen wie Kindergärten, Musikkneipen, Nachbarn die Spaß am Sex haben oder zu laute Waschmaschinen....
Schwule stehen glücklicherweise nicht mehr auf der Abschussliste. Nein, in St.Georg gehören die zum Establishment. Prostituierte müssen die Diskussion, ob das denn erstrebenswert ist gar nicht führen, denn von dieser gesellschaftlichen „Anerkennung“ sind wir weit weg.
Ich wollte die mittlerweile horrende Miete für meine plötzlich von der Absteige zum Luxusgut mutierte Wohnung dann nicht mehr zahlen. Jetzt lebe ich in Berlin Kreuzberg, wo ich nur 40% über dem Mietenspiegel liege. Die Mieterberatung meinte, dass ich es damit ja noch gut getroffen hätte.... Ja, jetzt habe ich leider keinen Strich mehr vor der Tür, sondern Heerscharen von Touristen.
Fotoausstellung: „Halbe Stunde“ von Tanja Birkner www.tanjabirkner.de