Sexarbeits-Alltag unter dem nordischen Modell

Was wäre wenn? Sexkaufverbot in Deutschland? Meine Überlegungen dazu

Johanna Weber -- 16.02.2023   Themen: Gedanken Politik

nordisches-modell-roof-snapwiresnaps-pixabay.jpg

Als politische Sprecherin des Berufsverbandes und Sexworkerin mit jahrzehntelanger Arbeitserfahrung begegnen mir natürlich auch Lebenswelten von Kolleg:innen, die komplett anders sind als meine eigene. Aber genau diese Kolleg:innen sind wichtig für meine politische Arbeit und die Hintergründe zu diesem Blogbeitrag.

Der Name "Nordisches Modell" ist eigentlich irreführend, denn es wenden nicht alle nordischen Länder diese Methode im Umgang mit Sexarbeit an. Finnland und Dänemark haben sich explizit dagegen ausgesprochen.

Stimmiger wäre das Wort: „Sexkaufverbot“, denn es handelt sich um eine einseitige Kriminalisierung.

Ein sehr selten zu findender juristischer Spagat. Menschen, die Sexarbeit in Anspruch nehmen, machen sich strafbar. Menschen die Sexarbeit anbieten, machen sich nicht strafbar.
Dies soll bewirken, dass die Nachfrage sinkt und somit langfristig die Sexarbeit abgeschafft wird.
Vielleicht habe ich das etwas sehr vereinfacht. Entschuldigung.

Diskussionen um das Thema Sexkaufverbot arten in der Regel komplett aus.
Es kommt förmlich zu einem Kampf zwischen zwei unversöhnlichen Fronten.
Auf der einen Seite stehen Menschen, die selber in der Sexarbeit sehr viel Elend erlebt haben, teilweise auch traumatisiert sind und deren Unterstützende. Auf der anderen Seite stehen Kolleg:innen, die Sexarbeit als Arbeit sehen, sich in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt sehen und Gleichbehandlung mit anderen Berufen fordern.

Für sinnvolle politische Entscheidungen sind die Argumente beider Seiten wichtig.

Was Lösungsansätze für Missstände anbelangt scheiden sich die Geister.
Menschen die Sexarbeit generell als missbräuchlich wahrnehmen, setzen sich für Sexkaufverbote, Hilfe und Unterstützung beim Ausstieg und gesellschaftliche Ächtung des Gewerbes ein.
Menschen, die Sexarbeit generell als Arbeit wahrnehmen, setzen sich für mehr Rechte und berufliche Gleichstellung, gesellschaftliche Entstigmatisierung des Gewerbes und Empowernment ein.

Was wären denn nun die Folgen, wenn in Deutschland das Sexkaufverbot nach dem schwedischen Vorbild eingeführt werden würde?

DIE KUND*INNEN

Vor ewiger Zeit sagte eine schwedische Kollegin zu mir:
„Die guten Kunden sind weg - die schlechten bleiben.“

Jede Sexarbeiterin weiß was ich damit meine.
Welche Kunden bleiben, wenn es verboten ist Kunde zu sein?
Diejenigen, die es mit Recht und Ordnung eh nicht so genau nehmen.
Diese Kunden haben wir eigentlich nicht so gerne.
Das sind die Kunden, die leicht übergriffig sind, immer noch etwas mehr fordern, immer zu wenig bezahlen wollen, nie zum Ende kommen, usw.
Wenn in unserem Arbeitsalltag ab und zu einer dieser Sorte dabei ist, dann ist das für die meisten Sexarbeitenden machbar, und das Geld nehmen wir gerne mit. Wenn wir jedoch nur noch solche Kunden haben, dann wird die Arbeit unerträglich.

DER ARBEITSPLATZ

Im nordischen Modell gelten Bordelle, Massagesalons, usw. als Stätten der Ausbeutung und sind somit verboten. Das heißt, unsere Arbeitsplätze sind weg. Bei uns in Deutschland sind Prostitutionsstätten seit 2002 legal, und mit dem ProstSchG wurde auch eine Konzessionierung eingeführt. Das heißt alle Betreibenden von Prostitutionsstätten müssen beim Gewerbeamt ein Betriebskonzept einreichen. Und die Gewerbeamtler kommen dann persönlich vorbei und schauen sich den kompletten Laden in der Praxis an. Da ist noch lange nicht alles optimal, aber ich finde, wie sind da auf einem guten Weg.

Nun könnte Deutschland natürlich sagen, dass sie das Sexkaufverbot einführen, aber die Prostitutionsstätten weiter erlauben - wo die ja gerade alle so schön konzessioniert worden sind.
Das bringt aber gar nichts.
Denn welche Kunde geht denn noch in einen Puff, wenn es verboten ist dort zu vög…. ähm, die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Polizei könnte sich ja mit dem Klappstuhl vor die Tür setzen und jeden gleich festnehmen, der rauskommt.

VERSTECKSPIELEN, UM KUNDEN ZU BEKOMMEN

Damit überhaupt noch eine:r kommt, müssen wir Sexarbeitende uns verstecken und dafür sorgen, dass die Kundschaft nicht entdeckt wird.
Dies kennt unsere Branche schon von Corona.
Damals war die Sexarbeit unverhältnismäßig lange verboten. Viele Kolleg:innen waren aus finanzieller Not gezwungen, illegal tätig zu werden und sich trotz Verbot mit Kund:innen zu treffen.
Die Bordelle, Clubs, usw. waren geschlossen wegen Corona. Somit entstand ein illegaler Parallelmarkt an Haus- und Hotelbesuchen, der sich bis heute nicht wieder aufgelöst hat.
Was waren die Folgen?

  • Preisverfall
  • vermehrte Nachfrage nach unsaven Praktiken
  • Zunahme von Gewalt

POLIZEI UND BERATUNGSSTELLEN KLAGEN

Die oben erwähnten Sexarbeitenden sind nur noch sehr schwer für Hilfsangebote zu erreichen, denn sie arbeiten immer an anderen Orten und zu flexiblen Zeiten.
Die Beratungsstellen suchen schon nach neuen Konzepten für aufsuchende Beratung, denn Prävention kann nur direkt vor Ort erfolgen. Prävention funktioniert nicht, wenn die Sozialarbeitenden in der Beratungsstelle sitzen und warten bis die Klient:innen vorbeikommen.

In den Medien sind immer die selben zwei oder drei Polizisten, die das nordische Modell fordern. Von vielen anderen höre ich Gegenteiliges: „Dann müssen wir unsere Arbeitszeit dafür verwenden, die Freier aufzuspüren, anstatt uns um Menschenhandel zu kümmern.“

Und wie läuft das in Schweden? Wie findet die schwedische Polizei die Freier?
Es werden die Telefone der Sexarbeitenden abgehört, und dann an der entsprechenden Adresse aufgelauert.

AUSSTIEGS-PROGRAMME / UMSTIEGS-UNTERSTÜTZUNG

Von dem Wort Ausstieg aus der Prostitution halte ich nicht viel. Das mag für einige stimmen, für das Gro der Sexarbeitenden geht es aber um einen Umstieg von der Sexarbeit in andere Tätigkeiten.
Und der ist oft nicht leicht.

Mit dem Konzept des Sexkaufverbot geht ja einher, dass für alle Sexarbeitenden Umstiegsangebote gemacht werden, damit sie alle aufhören (können). Wenn wir nach Frankreich blicken, wo vor kurzem das „nordische Modell“ eingeführt wurde, dann zeigt eine Untersuchung 1), dass in den fast 2 Jahren nur 395 Personen die Ausstiegs-Angebote genutzt haben. Was nicht heißt, dass alle „ausgestiegen“ sind. Bei einer geschätzten Anzahl von 40.000 bis 100.000 Sexarbeitenden in Frankreich ist das ja nicht sonderlich viel.

Auch in Deutschland gibt es viele Möglichkeiten für Sexarbeitende, Unterstützung oder Begleitung beim Umstieg zu erhalten. Jede Beratungsstelle für Sexarbeitende bietet das an, und macht dies auch schon sehr lange. Es gibt immer wieder Berichte, dass ausstiegswillige Sexarbeitende von Beratungsstellen zurückgewiesen wurden. Das ist schlimm, ich würde aber in den betreffenden Fällen gerne recherchieren, woran es gelegen hat. Ansonsten möchte ich für die Beratungsstellen 2) nämlich eine Lanze brechen, denn sie machen wirklich gute Arbeit.

Auch das Familienministerium hat sich schon mit dem Thema beschäftigt. Es gab schon ein Modellprojekt zur „Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution“ mit der Laufzeit November 2011 bis Mai 2015 3). Aktuell läuft gerade in zweites Modellprojekt mit 6 Städten in Deutschland, welches 1. August 2021 begann. Das erste Projekt ist natürlich ordnungsgemäß evaluiert worden, und ich möchte ein Zitat 3) daraus bringen:

„Geschätzt wird, dass jede 10. Sexarbeiter:in
im Rahmen eines Ausstiegs
auf Beratung und Unterstützung angewiesen ist.“

Das heißt, dass es für jede 10. Umstiegswillige Person sehr wichtig ist, dass es diese aufwendigen und auch sehr speziell auf Sexarbeitende zugeschnittene Begleitung braucht. Das zeigt aber auch, dass 9 von 10 den Umstieg alleine hinbekommen haben oder ihn doch nicht wollen.

Das zeigt sehr deutlich, dass Sexarbeit keine Sackgasse ist.

Dabei möchte ich es hier belassen. Es gäbe noch viele Themen, die ich ansprechen könnte und auch möchte, aber das mache ich dann in weiteren Blogbeiträgen.


1) Untersuchung Frankreich Synthèse comparative des rapports d’évaluation de la loi française sur la prostitution de 2016, Théo Gaudy, Hélène Le Bai → https://hal.archives-ouvertes.fr/hal-03054400

2) bufas e.V., Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter -> http://www.bufas.net/

3) Seite 173 - Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung zum Bundesmodellprojekt Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution -> https://www.bmfsfj.de/resource/blob/95446/b1f0b6af91ed2ddf0545d1cf0e68bd5e/unterstuetzung-des-ausstiegs-aus-der-prostitution-langfassung-data.pdf

Online Termin Buchen

Kalender / Termine