Stadtratshearing in München zum Thema Sperrbezirke

30.11.2023 - Was kann man in einem 5-Minuten Statement alles sagen?

Johanna Weber -- 20.01.2024   Themen: Politik

Die beiden Zwiebeltürme der Frauenkirche in München

Dass ich das noch erleben darf?
Ich konnte es kaum glauben als erste Bestrebungen in der Presse laut wurden, in München solle die Sperrbezirksverordnung überarbeitet werden. Man las, dass es dabei um die alten und pflegebedürftigen Menschen ginge, die ja überweigend im Sperrbezirk wohnen und somit keine Sexualbegleitung in Anspruch nehmen können. In der bayrischen Metropole ist jegliche Art von Sexarbeit im Sperrbezirk verboten ist - auch Hausbesuche.

In München sind weit über 90% der Stadt Sperrbezirk.

Und da haben wir nun das eigentlich Problem, denn die Verordnung ist von 1956. In 2003 wurden zum letzten mal Kleinigkeiten geändert. In dieser langen Zt haben sich aber die Bebauungspläne und auch die Sichtweisen auf Stadtentwicklung gewandelt.
„Die Stadt ist bis an die äußersten Grenzen der Ermächtigungsnorm gegangen. Eine zukünftige Erweiterung der Sperrbezirke ist nur gegen die Freigabe bisher gesperrter Gebiete zulässig“ - zu finden im Protokoll des runden Tisches Prostitution in München vom 07.07.2023

So kam es nun also zu diesem Stadtratshearing, welches generalstabsmäßig vorbereitet wurde und trotzdem nicht sehr ergibig war - meiner Meinung nach.

Ich bin immer wieder verwundert, wie wenig Menschen, die zu einem speziellen Thema berichten sollen, bei diesem Thema bleiben. Und noch schlimmer ist, dass diese Abschweifungen dann auch noch Anklang bei den Abgeordneten finden.
Was meine ich damit?
Dass ein Menschenhandelsopfer aus Ost-Europa von ihrem Schicksal erzählt und auch erklärt, wie sie damit sowohl in ihrer Heimat als auch in Deutschland Vorträge hält, um andere vor diesem Schicksal zu bewahren, finde ich sehr, sehr wichtig. Und ich ziehe meinen Hut vor dem Mut der jungen Frau.
Nur, was hat das mit der Umsetzung des ProstSchG in München oder dem Sperrbezirk zu tun?
Aber wenn ich sowas frage, dann wird mir ja wieder vorgeworfen, mir seinen die Opfer ja komplett egal.
Äh, Nein. Ich würde nur gerne beim Thema bleiben und den neu aufgebrachten Sachverhalt auf einem separten Meeting besprechen.

Leider war ich in diesem Hearing nicht zum Thema Sperrbezirke dran, sondern zum Themenblock I, ProstSchG.
Aber ich habe auch in meinem Vortrag den Sperrbezirk einfließen lassen.
Wie alle durfte ich nur 5 Minunten reden, und ich hatte den Eindruck dass ich fast die einzige war, die zumindest versucht hat, sich an den Zeitrahmen zu halten. Ich habe mit Stoppuhr geübt.


Themenblock I: Vollzug des ProstSchG 1) in München

Rednerin: Johanna Weber, Sexarbeiterin und politische Sprecherin des Berufsverbandes für Sexarbeitende, BesD

ÜBERNACHTUNGEN

Zunächst möchte ich ein Lob aussprechen. Es hilft uns Sexarbeitenden sehr, dass in München Übernachtungen in den Prostitutionsstätten zugelassen werden und wir somit die Hotelkosten sparen. Ich selber habe gerade 3 Tage hier in München gearbeitet und auch im Studio übernachtet.

ANMELDUNGEN

Die Anmeldungen und gesundheitlichen Beratungen laut ProstSchG sollten kostenlos sein.
Beispiel Berlin, Hamburg und andere Bundesländer.
Es gibt Fälle, dass Sexarbeitende sich nicht anmelden, wegen der Kosten.

KONTROLLEN

Wir haben das Gefühl, dass ständig irgendeine Kontrolle vorbeikommt. Für uns ist nicht zu unterscheiden ob Sitte 2) oder KVR 2). Die Betreibenden nötigen uns, dass wir für die Kontrollen immer die Zimmertür aufmachen - auch während der Session springen wir dann nackt im Strapshalter an die Zimmertür. Die Betreibenden wollen verständlicherweise jeglichen Ärger mit der Sitte oder KVR vermeiden und eine möglichst geringe Anzahl an Kontrollen im Hause zu haben. Dies nicht, weil sie etwas zu verheimlichen haben, sondern weil häufige Kontrollen eine erhebliche Störung des Arbeitsalltages sind. Gerade die Kundschaft nimmt das als sehr negativ wahr.

Und warum lassen wir Sexarbeitenden uns das gefallen? Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schwingt immer mit. Denn in München verdient man sehr gut, und es gibt nicht viele alternative Arbeitsplätze, wohin wir wechseln könnten.
Warum?

SPERRBEZIRKE

Die wenigen bestehenden Bordelle und Studios haben fast Monopolstellung. Es würde der Branche sehr gut tun, wenn es mehr verschiedene Arbeitsplätze gäbe und besonders kleine Wohnungsbordelle oder Massagesalons. Die Sexarbeitenden, die Haus- und Hotelbesuche machen, sind fast gezwungen illegal tätig zu werden, denn die Kunden wohnen überwiegend im Sperrbezirk und die Hotelgäste sind oft in den 5*-Hotels in der Innenstadt. Fast alle Escorts-Services vermitteln in den Sperrbezirk hinein - zum Teil ohne die Frauen darüber zu informieren.

ERREICHBARKEIT IM DUNKELFELD

So wie die Kontrollsituation jetzt ist, nehmen wir die Polizei und KVR als eher lästig wahr. Jede ist froh wenn sie wieder weg sind.
Ich wünsche mir eine Polizei als Freund und Helfer. Als eine Instanz, der man vertraut und an die man sich wendet, wenn man Probleme hat. In Hamburg z.B. hängt in sehr vielen Bordellen an der Pinnwand die Visitenkarte der Sitte mit dem Namen des Zuständigen. Einige Kolleginnen tragen die Visitenkarte sogar im Portemonnaie.
In München wurde mir bei den unzähligen Kontrollen, die ich in 12 Jahren schon erlebt habe, noch nie eine Visitenkarte angeboten.

Und wie erreicht man die Kolleg*innen außerhalb der Bordelle?
Die arbeiten üblicherweise im Sperrbezirk und haben natürlich kein Interesse an Kontrollen.
Die Entscheidung, dass sie keine Scheinfreier einsetzen wollen, halte ich für sehr sinnvoll. Sonst ist das Vertrauen komplett hinüber und das Versteckspielen geht erst richtig los. Der sinnvollste Weg, diese Kolleg*innen zu erreichen ist aufsuchende Beratung der Beratungsstellen. Da darf auch keinen Fall gespart werden.


Und hier findet sich ein sehr lesenwerter Kommentar der Wissenschaftlerin, Giovanna Gilges, die auch als Referentin geladen war
https://gspf.info/wp-content/uploads/2024/01/GSPF_Stellungnahme_2023_Stadt-Muenchen.pdf


Irgendwann wird sicher auch das Protokoll online zu finden sein, dann poste ich es hier, und die anderen reden können auch nachgelesen werden.

1) ProstSchG ist die Abkürzung für das Prostituierten Schutz Gesetz -> https://www.gesetze-im-internet.de/prostschg/

2) Sitte ist die umgsangssprachliche Abkürzung für das Sittendezernat der Polizei in München

2) KVR ist die Abkürzung für das Kreisverwaltungsreferat, welches für die Umsetzung des Prostituierten Schutz Gesetzes in München zuständig ist

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