Zwischen Selbstbestimmung und Zwang - Augsburg diskutiert über Prostitution

Best practice für Veranstaltungen mit offenen Austausch zum Thema Prostitution/Sexarbeit

Johanna Weber -- 11.04.2024   Themen: ProstSchG Politik

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Die Veranstaltungseinladung kam überraschend. Unter dem Titel: „Zwischen Selbstbestimmung und Zwang: Prostitution in unserer Gesellschaft“ sollte ich Themeninput geben.
Überrascht war ich, denn Augsburg hat bei dem Thema eigentlich eine sehr konservative Haltung. Ähnlich wie in München wird die Prostitution durch einen riesengroßen Sperrbezirk aus der Innenstadt fern gehalten. Und damit basta.
Und nun diese Veranstaltung, die wirklich einen Diskurs zu dem Thema eröffnen möchte. Es sollte um offenen Austausch über die Themen Prostitution, Menschenhandel und Zwangsprostitution gehen.
Ich war einerseits skeptisch und andererseits begeistert. Das Letzte überwog und ich sagte zu.

Es ist sehr schwierig, eine Veranstaltung zu konzipieren, die den extrem polarisierenden Stimmen in unserem Themenfeld Raum gibt, und gleichwohl das Publikum mit einbezieht und Möglichkeiten zum Austausch bietet.

Dies ist in Augsburg gelungen.
Ein fabelhaftes Konzept, welches ich auch anderen Städten und Bundesländern empfehlen werde.

Es gab vier Themeninseln. Jede der Referentinnen hatte einen Stehtisch und die Besucher wechselten reihum und waren jeweils 20 Minuten an einer Position.
Neben mir standen folgende Personen für Fragen zur Verfügung:
• Linda Greiter, Leiterin von SOLWODI e.V. Augsburg
• Johanna Weber, politische Sprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. und selbst Sexarbeiterin
• Dr. Marlen Löffler, Soziologin und Geschäftsführerin der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung e.V.
• Kerstin Neuhaus, Geschäftsführerin der AugsburgerInnen gegen Menschenhandel e.V.

Es gab keine Vorträge, sondern alle Anwesenden konnten Fragen stellen.
Ich habe mich den Leuten in jedem Durchgang kurz vorgestellt und ein wenig Input vorweg gegeben. Lustigerweise hab ich jedes Mal was anderes erzählt. Gefühlt zumindest.

Gleich in der ersten Runde ging es zur Sache.

Ich würde das ja doch sehr charmant darstellen, dass aber ja 90% der Prostituierten das unter Zwang machen würden und traumatisiert seinen, inkontinent, Scherben in den Geschlechtsteilen und so weiter, und so weiter…. und das sei mit ja alles egal … und so weiter…
Ich war jetzt nicht wirklich erstaunt oder entsetzt, denn das kenne ich ja alles schon in und auswendig. Es fiel mir aber echt schwer total entspannt die Dame reden zu lassen und ihr nicht ins Wort zu fallen. Ich habe das aber - fand ich - gut hinbekommen. Meine Antwort war zwar sehr ruhig und entspannt, aber ich weiß nicht mehr was ich gesagt habe. Ich meine, das hätte noch besser gemacht werden können.
Leider ist es ja so, dass man auf eine populistische Behauptung von nur einem Satz mindestens 30 Sätze bräuchte um zu erklären, dass es dafür keinerlei Nachweise gibt und warum das nur in Einzelfällen zutrifft, wenn überhaupt und dass es in der Realität ja folgendermaßen ist….

Wir scheinen aber mit dieser Veranstaltung wirklich etwas bewegt zu haben in den Köpfen der Menschen.

Das wirklich gut durchdachte Format sah auch eine Feedbackrunde am Schluß vor. Genial gemacht von den organisierenden jungen Leuten. Es wurde ein QR-Code zum Abfotografieren an die Wand gebeamt, und so konnten die Anwesenden eintippen, was sie für Erkenntnisse gewonnen haben.

Um ein paar Zitate zu nennen:
„Sehr gelungene und Informative Veranstaltung!“
„Ich empfand die Veranstaltung als sehr bereichernd“
„Verschiedene Perspektiven auf das Thema. Eine weitergehende Information für mich um das Thema besser einordnen zu können.“.

Genau diese Zitate haben mich extrem erstaunt. Warum?

Ich denke immer, dass alle Menschen sofort die Prostitution verbieten wollen, wenn sie die schlimmen Geschichten der Prostitutionsgegner hören - und dass ich dagegen gar nichts sagen kann.

Also, ich fühle mich immer so machtlos. Und jetzt weiß ich, dass die Menschen, wenn sie beide Seiten hören, sehr wohl reflektieren und nicht auf jede Horrorgeschichte anspringen. Das macht mir Mut, denn ich will ja auch die Situation in der Sexarbeit gerade für diejenigen verbessern, denen es mit dem Job nicht so gut geht oder die auf verschiedenste Weise ausgebeutet werden oder illegal in Deutschland sind oder sonstige Missstände.

Und am nächsten Tag habe ich mir dann die Prostitutionslandschaft in Augsburg angeschaut. Ich war in drei Laufhäusern und zwei Bordellen. Ich habe diverse Kilometer auf meinem ICE-tauglichen Faltrad zurückgelegt, denn diese Etablissements sind alle weit ausserhalb des Stadtzentrums.
Das ist natürlich nur ein kleiner Einblick, aber mehr als die meisten Prostitutionsgegner jemals gemacht haben.
Ich habe das auf der Veranstaltung auch angekündigt, dass ich diese Tour machen will am nächsten Tag, aber es wollte sich keiner anschließen.

Hier der Bericht zu meiner Bodelltour -> https://johannaweber.de/blog/auf-bordelltour-in-augsburg/

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