Ungereimtheiten beim Kongress: "Aufstehen gegen Menschenhandel"

Protest der Huren in Hamburg

Johanna Weber -- 07.11.2014   Themen: Politik

Sexarbeiterin Undine de Reviere mit rotem Regenschirm beim Huren-Protest

Das muss man Mission Freedom lassen, die Veranstaltung war hoch professionell organisiert. Hut ab. Beim Einlass wurde ich drauf aufmerksam gemacht, dass die Zettel, die ich in der Hand hielt nicht von ihnen seien. Man nahm mich nicht als zugehörig zu der rot beschirmten Menge wahr, die vor dem Eingangsportal den Besuchern Infozettel vom Hamburger Ratschlag Prostitution in die Hand drückte und von Prostituierten berichteten, die nicht gerettet werden wollten. Man las auf den Infozetteln, dass Sexarbeit Arbeit ist und nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen sei.

Es waren viele rote Schirme dort. Beeindruckend viele. Die Hamburger Huren wurden unterstützt durch die gesamte Beratungsstellenlandschaft und auch die Frauenhäuser, die genau wie das LKA Hamburg jegliche Zusammenarbeit mit Mission Freedom ablehnen. (1)

Klappen wir den roten Schirm ein und gehen wir also in die Kirche um der Veranstaltung beizuwohnen. Ich wollte wissen, mit welchen Geschichten und Argumenten dort gearbeitet wird.

Es fing sogar sehr gut an. Gaby Wendland, die Vorstandsvorsitzende von Mission Freedom, eröffnete sehr routiniert den Kongress. Das liegt ihr wirklich. Sie wirkt kompetent und Vertrauen erweckend. Ja, ich denke, sie will auch wirklich was Gutes tun. Nur, leider schießen sie und ihr Verein dabei über das Ziel hinaus. Helfen kann nicht nicht Zwangsretten sein. Aber ich will die Wertungen hier nun lassen, sonst kommen mir noch Worte wie sektenartig und Gehirnwäsche in die Tastatur...

Zu Beginn gab es eine wirklich schöne Gesangsdarbietung von einer extrem attraktiven Blondine in einer Aufmachung, die sofort auf jedem Straßenstrich Anklang gefunden hätte. Da war ich mit meiner Leopardenstrumpfhose echt bieder dagegen. Aber sie hat wirklich schön gesungen.

"… Die Liebe lebt in dir…. Wir sind deine Stimme…"

Ähm, die sind meine Stimme? Aber ich wollte ja aufhören mit der Wertung. Im Grunde ist es ja eine super Sache, dass sie sich einsetzt, und es gibt definitiv auch Menschen in der Sexarbeit, denen geholfen werden sollte und die sich das auch wünschen. Ich will das nicht verschweigen.


Die erste Rede kam vom einem Theologen. Entgegen der Ankündigung nahm der Hauptpastor des "Michels" sein Hausrecht nicht wahr. Dafür war der Kollege von der Elim-Kirche da, Matthias Wolff. Ein guter Redner. Das gefällt mir ja immer. Inhaltlich wurde es schnell recht polemisch, denn er sprach von Sklaverei und von Missbrauch und setzte dem Horrorbild über unsere Branche noch die Krone auf, indem er einen Vergleich zu Ruanda zog. "Wo waren wir da?" '

Den Nationalsozialismus zu bemühen hat er sich dann wohl doch nicht getraut.

Aber diesmal seien wir ja da und würden den Betroffenen helfen aus der Sklaverei und dem Milieu zu entkommen. Er wies aber immerhin noch drauf hin, dass dies nicht gegen die gerichtet sei, die DAS freiwillig machen. Es gäbe aber Grund der Annahme, dass das nicht alle sind.


Dann sprach der Menschenrechtler und Theologe, Prof. Dr. Schirrmacher

Er fing wirklich gut an. Er sprach von allgemeinen Mißständen, die nie angeprangert werden und wies drauf hin, dass über alles diskutiert wird aber nicht darüber, dass es Kinder gibt, die aus Rumänien kommen und hier in Deutschland in Häuser einbrechen müssen. Von der Problematik der Bestrafung, den Mittelsmännern und den Folgen für die Kinder referierte er weiterhin. Dann drehte er den Bogen zur Prostitution und fand da einen sehr sachlichen aber leider juristisch und fachlich nicht ganz richtigen Einstieg. Er beklagte, dass nie über einen Mindestlohn für Zwangsprostituierte geredet wird. Also,

  1. ist Zwangsprostitution ein Straftatbestand, der geahndet werden muss aber nichts mit einem Lohnerwerb zu tun hat. Wenn diese Diskussion schon angeregt werden soll, dann für alle Sexarbeiter_innen und nicht nur für diejenigen, die unter sog. Zwang stehen.

  2. ist sehr wohl schon vielfach über das Thema Mindestlohn und faire Bezahlung diskutiert worden. Es ist rechtlich aber so gut wie unmöglich, denn Mindestlöhne kann es nur für Angestellte geben, was ja in der Sexarbeit eigentlich nicht vorkommt, da alle selbstständig sind. Eine Gebührenordnung wie sie z.B. bei Anwälten oder Ärzten vorliegt, kann nur rechtsgültig sein, wenn eine Kammer diese verabschiedet und überprüft, in der alle Beteiligten Pflicht-Mitglied sind. Mehrere Juristen sagten mir, dass sie bei dem Thema faire Bezahlung keine rechtliche Lösung sähen für unsere Branche.

Aber jetzt muss ich Herrn Schirrmacher Mal loben, denn er sagte ganz klar, dass es eigentlich auch egal wäre ob es einen Mindestlohn gibt, denn wenn die Prostituierten sich nicht Mal als Menschenhandelsopfer melden, dann werden diese sicher auch keinen Verstoß gegen die Bezahlungsregelungen anzeigen.

Nicht gut fand ich, dass er in dem Zusammenhang den Lieblingssatz der Polizei benutzte, dass Menschenhandel ein Kontrolldelikt ist.

Es ärgert mich immer, dass die Polizei solche Sätze sagt, denn sie widersprechen sich dabei selber.

Das Bundeslagebild sagt, dass der größte Teil der Menschenhandelsopfer durch Anzeige von Kolleginnen, aufmerksamen Kunden oder Beratungsstellen kommen (2). Wenn die Polizei dann diesen Hinweisen nachgeht, handelt es sich meiner Meinung nach nicht mehr um ein Kontrolldelikt.

Vielleicht ist das Wortklauberei, aber durch die inflationäre Benutzung des Wortes Kontrolldelikt im Zusammenhang mit Rotlicht und Milieu entsteht das Bild von der dringenden Notwendigkeit, die Zutritts- und Durchsuchungsrechte der Polizei auszuweiten, denn sonst kann ja gar nicht richtig kontrolliert werden. Beim Nachgehen von Hinweisen, wie es meiner Meinung nach heißen müßte, sollte es sicher kein Problem sein, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen für das anvisierte Etablissement. Da müssen die Rechte nicht ausgeweitet werden.

Schön fand ich die humoreske Bemerkung, dass es bei dem Thema des Tages schon eine sehr schräge Koalition gäbe. Schirrmacher meinte nicht die Herren und Damen in Berlin, sondern Alice Schwarzer und Gaby Wendland. Stimmt, die hätten sich vor 20 Jahren mit dem Arsch nicht angeguckt…

Ja, und dann wurde es lustig, denn auch er bemühte die Sklaverei als auffordernde Metapher, bei der die Abschaffung ja auch als ganz kleiner Protest anfing… Und dann wurde es echt bizarr.

Ich frage mich, ob Menschen denn überhaupt nicht rechnen und nachdenken können.

Also, Herr Schirrmacher erzählte die Geschichte, dass ein rumänisches Ehepaar 20 Frauen auf dem Straßenstrich in HH St.Georg zum Arbeiten gezwungen hätte. Bis zu 16 Stunden am Tag und bis zu 60 Freier… Ähm, wie soll denn das gehen?

Also, die Kolleginnen die ich von dort kenne erzählen eher von 8-10 Kunden an extrem guten Tagen. Wenn sie vor lauter Polizeikontrollen überhaupt zum Arbeiten kommen, denn St.Georg ist Sperrgebiet und somit ist dort Straßen-Prostitution verboten.

Dann hat sich Schirrmacher wieder einbekommen und proklamiert, dass Vergewaltigung strafbar sein muss, auch in der Ehe. Ja, darüber wird ja gerade im Rahmen der Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) diskutiert. Die wird von unserem Menschenrechtler nicht erwähnt. (3)

Was er gut beobachtet hat, ist dass es unter den Feministinnen zwei gegensätzliche Strömungen gibt.

Die eine Richtung sagt JA zur sexuellen Befreiung und markiert eine strenge Grenze zwischen Prostitution und Zwangsprostitution, und der andere Flügel zieht vor dem selben Hintergrund den Schluss, dass sich Prostitution mit der sexuellen Befreiung komplett beißt.
Ja, die Formulierung gefällt mir. Gut gesagt.
Dass er das Thema aber nur theoretisch verstanden hat zeigt seine lustig gemeinte Idee, dass jede Prostituierte zwei Polizisten an die Seite bekommen müßte um sie vor Zwang und Ausbeutung zu bewahren. Ach ja, wir sind ja alle Opfer und können das nicht selber. Stimmt ja.

Zu guter Letzt wettert er noch gegen das Weisungsrecht der Betreibenden, was ja dazu führt, dass die Frauen Kunden nicht mehr ablehnen dürfen. Au man, da ist ja wohl alles falsch verstanden worden.

Ich erkläre hier noch Mal §3 des Prostitutionsgesetzes, in welchem es um das eingeschränkte Weisungsrecht geht.

Ganz bewusst dürfen ausschließlich den Ort und die Zeit vorschreiben werden, aber eben keine Pflichten zu gewissen Dienstleistungen. Außerdem gilt das Weisungsrecht eh nur für Angestellte, welche es ja so gut wie gar nicht gibt in unserer Branche. De Facto hat der Betreibende theoretisch "nur" Rechte als Vermieter. (4)

Und als Abschluss weist Schirrmacher noch darauf hin, dass alle, die Ahnung haben von der Thematik, sagen es sei viel schlimmer geworden. Komischerweise kenne ich jede Menge Leute, die als Experten des Materie gelten und das nicht ganz so pauschal sagen würden.


Kurz Luft holen, dann ging es weiter auf Englisch, was wirklich sehr gut von Gaby Wendland übersetzt wurde. Das hat sie souverän gemacht und sich dabei sehr klug in Szene gesetzt. Übersetzt wurden die Worte von Patrick Cederlöf, den National coordinator against prostitution/trafficking from Stockholm, Sweden.

Er lässt spüren, dass er sehr stolz ist auf das Schwedische Modell (5), aber er sagt - oho - dass dieses in SEINEM Land funktioniert.

Oho, diesmal nicht das Nordische Modell als Exportschlager Schwedens.

Ihm geht es dabei um Gerechtigkeit, denn Männer üben Gewalt aus, und nicht nur beim Menschenhandel sollte es Gerechtigkeit in der Prostitution geben. Es seien eben fast alle Prostituierten gezwungen und das Soziale solle gestärkt werden. Applaus gab es dann für den Satz: "Es lohnt sich nicht mehr für die kriminellen Banden in Schweden zu operieren!" Interessant ist ja, dass es auch in Deutschland eine Verschiebung von Banden hin zu Einzeltätern gibt…. Und das, wo unser Land doch angeblich das Eldorado für diese Form der Organisierten Kriminalität sein soll. (2)

Der Schwede berichtete, dass die Szene in seinem Land sich radikal verändert habe seit sein Polizeistab aktiv ist. Früher waren hauptsächlich Schwedische Frauen dort vor Ort tätig. Das Wort Drogen schob er gleich hinterher. Heute seien dort ja nur noch Migrantinnen. Und die Prostitution findet kaum noch auf der Straße statt. Interessanterweise hat er das nicht als Erfolg verkauft. Ihm scheint klar zu sein, dass die Frauen wo anders arbeiten. Das hat er aber nicht gesagt. Somit hat die leutselige Zuhörerschaft, dass sicher nicht zwischen den Zeilen gelesen.

Cederlöf gibt von selber zu, dass in dem Zusammenhang das Internet zugenommen habe. Das sei aber nicht auf schlechte Arbeit seiner Behörde zurückzuführen, denn die verwerflichen Internetseiten befinden sich auf ausländischen Servern, und da kommt man ja ganz schlecht ran.

Was er allerdings wirklich gut schlussfolgert, ist dass Frauen die aus ganz armen Verhältnissen kommen, keine andere Chance haben. Er fragt sich wie man den Opfern besser helfen kann, denn sie bekommen ja nicht Mal Geld von Staat.

Aber es schläft sich besser mit so einem Gesetz im Hintergrund, sagt er zumindest.

Also, ich hab schon wesentlich schimmere Reden von Schweden gehört.

Interessant finde ich, dass Cederlöf sich die Situation in Schweden so hindreht, dass sie für ihn paßt. Es ist definitiv nicht gelungen, die Prostitution verschwinden zu lassen. Das war ja eigentlich das Ziel des Schwedischen Models (5). Dass dies nicht gelungen ist, liegt natürlich an der Armutszuwanderung. Und laut seinen Worten scheint es ja keine Schwedischen Prostituierten mehr zu geben, was überhaupt nicht stimmt, wenn man sich mit Schwedischen Kolleginnen unterhält. (6)

Interessant ist aber auch, dass die Armutszuwanderung in der Schwedische Prostitution nicht als Menschenhandel gilt, denn den hat Schweden ja so gut wie eliminiert. In Deutschland hingegen ist Armutsprostititon = Menschenhandel. Also, was denn nun?


Dann kam mein dauergrinsender Lieblings-Bundestags-Abgeordneter, Frank Heinrich. Wer ihn nicht kennt, dem sei gesagt, dass er auch den Verein "Gemeinsam gegen Menschenhandel" gegründet hat und für so wunderbare Werbe-Bilder wie gequält dreinblickende Frauen mit Preisschildern in Einkaufswagen verantwortlich ist. Die Frau ist keine Ware. Nein, das hat gar nicht Alice Schwarzer erfunden...

Heinrich erzählt, wie er fast aus Versehen in den Menschenrechtsausschuss des Bundestages gekommen ist. Mist, ich erzähle auch immer, dass ich aus Versehen politische Sprecherin des BesD geworden bin. Oh je, ich sehe da rhetorische Parallelen…

Er hat im Rahmen seiner neuen Funktion dann schnell gemerkt, dass Deutschland wirklich der Puff Europas ist, und hat sich die Bekämpfung von Menschenhandel auf die Fahne geschrieben.

Laut ihm ist Deutschland die Drehscheibe des Menschenhandels in Europa.

Verstehe ich das richtig?
Wenn wir die Drehscheibe sind, dann heißt das doch, dass die armen Frauen gar nicht hier in unserem Lande gequält werden, sondern von hier in andere EU-Staaten verfrachtet werden, oder? Aber ich hab das wohl falsch verstanden, denn Frank Heinrich erwähnt gleich, dass das statistische Bundesamt 14,6 Milliarden Euro an Umsatz in unserer Branche vermutet.
Aber ansonsten gibt es keine Zahlen.
Na, das hat er ja wenigstens verstanden. Die Zahl 400.000 wird ja auch vom Milieu benutzt, wie Heinrich erklärt. Weiterhin gibt es nur 44 Sozialversicherte und ein riesiges Dunkelfeld. Ähm… also Moment.

Es gibt 44 sozialversicherungspflichtige Angestellenverhältnisse. Der Krankenversicherungsstand ist bei den in Deutschland lebenden Kolleginnen ähnlich der restlichen Bevölkerung und sogar nach dem ProstG um 10% gestiegen (7).

Das muss man schon auseinander halten, und was das mit dem Dunkelfeld zu tun hat, möchte ich auch gerne Mal wissen. Die seligen Zuhörer denken natürlich: 400.000 Prostituierte und nur 44 machen das freiwillig!

Aber ganz so schlimm ist es dann doch nicht, denn Heinrich weiß, dass Hilfsorganisationen von 90% nicht freiwilliger Prostitution ausgehen. Bei der wissenschaftlich nicht nachweisbaren Zahl kann er auf keinen Fall mit Organisationen wie bufas e.V. der dem kok gesprochen haben. Ja, den kok scheint er auch nicht ganz so gut zu kennen, denn er lobt doch tatsächlich deren Arbeit, obwohl die seine Thesen doch gar nicht stützen.

Dann zitiert er das Bundeslagebild des BKA. Sehr interessant, wie Heinrich es schafft diese Zahlen auch noch in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Von ihm können wir organisierten Sexoworker viel lernen.
Also, 542 Opfer, davon 52% unter 21 Jahren und 12 Opfer unter 14 Jahren. Er erwähnt dabei nicht den Rückgang der Gesamtzahl um 11% zum Vorjahr. Auch erwähnt er nicht, dass die Zahlen minderjähriger Opfer in den Jahren von 2009 bis 2013 von 145 auf 70 gesunken sind. (2)
Ebenfalls wird nicht gesagt, dass die hohe Zahl von unter 21jährigen eventuell auch im Zusammenhang mit dem §232 StGB steht, der lautet:

"Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt."

Es bedarf also nicht unbedingt Gewalt oder Zwang, um als Menschenhändler zu gelten, wenn man eine unter 21jährige in seinem Bordell arbeiten lässt.

Dann verkündet Heinrich noch, dass es 625 Tatverdächtige gab. (2) Ja, das sollte einen doch zu denken geben, denn das sind ja wesentlich mehr als es überhaupt Opfer gibt. Unter organisierter Kriminalität hab ich immer was anderes verstanden. Nämlich ein Täter mit haufenweise Opfern.

Eine Brigitte-Umfrage wird zitiert:
88% der Männer hätten schon Mal in ihrem Leben Sex mit einer Prostituierten gehabt.
47% zahlen sogar 1x pro Monat dafür.

Also, die Ursachen sind laut Heinrich:
2002 wurde das Prostitutionsgesetzt (ProstG) eingeführt.
2007 gab es die Auswertung und das ProstG gilt laut dem Redner als gescheitert.
Ich muss kurz anmerken, dass dies nicht ganz korrekt ist, denn es wurde in der Evaluation des ProstG vieles kritisiert, aber es wurde auch deutlich, dass die Ideen hinter dem Gesetz falsch waren, und an der Branche vorbei gedacht wurde.

Laut Heinrich ist aber ja besonders schlimm, dass es die Evaluation schon so lange gibt und bis heute nichts passiert ist (8). Naja, da hat er ja sogar in gewisser Weise Recht. Nur, dass ich mit passieren was ganz anderes meine als er.

Was im Grunde auch stimmt ist, dass sich Deutschland bei der Umsetzung der EU Richtlinie im Bezug auf Menschenhandel blamiert hat. Blamiert finde ich nicht ganz richtig, denn Lösungen für so komplexe Themen sollten nicht über das Knie gebrochen werden.
Laut Heinrich hätte nur eine kleine Sache geändert werden müssen. Welche das sein soll, verrät er allerdings nicht.
Anscheinend ist seine tolle Idee noch nicht bis zu den zuständigen Kollegen in der GroKo vorgedrungen, denn sonst hätten sie das Thema ja schon lange vom Tisch.

Was auch völlig richtig ist, ist seine Aussage, dass niedrigschwellig auch mit den Ländern zusammengearbeitet werden muss, wo die Menschen herkommen.

Was auch nicht ganz falsch ist, ist seine Feststellung, dass durch die EMMA-Aktion die Diskussion in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Nicht nachvollziehen kann ich allerdings, dass dadurch eine Diskussion über Fair-Sex in Gange gekommen ist. Wo das denn?

Nicht ganz richtig informiert ist der gute Mann, wenn er aufzählt, dass auch Frankreich den Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe gestellt hat. Aber was soll´s. Man kann das ja einfach Mal so sagen. Die Kirchensitzer dort wissen das ja eh nicht besser.

Ja, und dann hat er noch Tipps zur Hand, was man denn tun kann gegen Menschenhandel: Ich greife hier nur einige Punktet raus, die mir besonders bemerkenswert erscheinen:

  • "Halten sie die Augen offen"
    -> da selbst das LKA Hamburg sagt, dass man Menschenhandelsopfer nicht erkennen kann, wie soll ich denn selbst bei offenen Augen da klüger sein als erfahrene Polizisten?

  • "Bete!"

AMEN


Und als ob das nicht alles schon genug sei, kommt nun noch Manfred Paulus, der Kriminal-Haupt-Komissar in Rente

Er erzählt gleich zu Beginn die Mär, dass die Frauen schon bei der Ankunft auf ihre Arbeit vorbereitet werden. Nicht als Tänzerin oder in der Bar, wie zuvor versprochen. Sie werden möglicherweise mit Drogen beeinflußt und es wird Hilflosigkeit erzeugt.
OK, immerhin sagt er damit, dass die Frauen durchaus nicht pauschal hilflos sind. Auch sagt er, dass Menschenhandel kein reines Europa-Problem ist, sondern auch an der mexikanischen Grenze zu den USA oder in Süd-Ost-Asien (Kambodscha) vorkommt.

Interessant ist sein Zahlenspiel im Bezug auf Moldawien. Er stellt das Land als Beispiel für Armuts-Migration vor. Es sollen dort inzwischen über 1 Mio weniger Menschen leben. Und das bei einer ursprünglichen Bevölkerung von 4,5 Mio. Man muss dazu sagen, das Paulus aktuell u.a. in Moldavien Präventionsarbeit leistet, was ja im Grunde sehr lobenswert ist.
Ich habe das recherchiert. Ja, da gibt es schon eine sehr starke Auswanderungstendenz in der sog. Republik Moldova. Aber von 4,36 in 1990 auf 3,5 Mio jetzt.

Heftig, aber was will Manfred Paulus damit sagen?

Ach ja, von 400.000 Prostituierten sind die meisten aus Osteuropa. Möglicherweise 300.000 Menschen. Wie sagte er so schön, dass eine junge Frau aus dem Tschernobyl belasteten Weißrussland, aus der Ukraine oder den albanischen Bergen sich nicht freiwillig nach Deutschland aufmachen kann und der Prostitution nachgehen, denn dazu fehlen ihr die finanziellen Mittel und das Wissen.

Der zweite Teil des Satzes stimmt sicher, aber was hat das mit Freiwilligkeit zu tun wenn sie einen Vermittler in Anspruch nimmt? Man bedenke, dass die von Paulus aufgezöhlten Länder nicht zur EU gehören, und somit keine Arbeitsgenehmigung für Deutschland vorliegt.

Menschenhandel, so weiß Paulus, ist die einzige Kriminalitätsform, bei der man ohne einen Cent zu investieren sofort viel Geld machen kann.

Wenn die Frauen drei Freier pro Tag haben, dann macht das 1,2 Mio Euro pro Jahr.
Aber Herr Paulus, wieso denn nur 3 Freier?
In St. Georg, haben sie doch gerade zuvor gehört, machen die 60 pro Tag.
OK, also bei 1,2 Mio pro Jahr wäre das dann 3.288 Euro Umsatz pro Tag, wenn jeden Tag gearbeitet wird. Das kann ja eine Frau nicht schaffen, denn sie macht ja nur 3 Freier, sagen wir Mal zum Satz von 50 Euro. Also 150 Euro pro Tag von einer Frau. Dann müßte der „Zuhälter“ 22 Frauen laufen haben, die 365 Tage pro Jahr für ihn anschaffen und ihm das gesamte Geld abgeben.

Paulus als Polizist sollte wissen, dass inzwischen das Täter-Opfer-Verhältnis fast 1:1 ist (2). Aber das hat er vielleicht nicht mitbekommen, denn erst ist ja schon einige Zeit in Rente. Was Paulus allerdings ganz sicher zu wissen scheint, ist dass diese Kriminalität eine Bedrohung für die ganze Gesellschaft wird. Den Zusammenhang habe ich nicht so ganz verstanden….

Er regt sich auf, dass die Polizeikontrollen abnehmen, aber dass diese in Wirklichkeit zunehmen hat er wahrscheinlich auch rentenbedingt nicht mitbekommen. Und dann wird natürlich das schlimme Weisungsrecht zitiert. Na, das hatte ich ja schon kommentiert… Aber Paulus setzt noch einen drauf, denn Deutschland ist ja der einzige Staat, der so was Menschenhändlern anbietet. Au weia, dass ihm das nicht peinlich ist.

Und er weiß auch zu berichten, dass die Albaner zuerst in Italien ihr Unwesen trieben und die Prostitution beherrschten. Inzwischen hätten sie in D. auch schon das Ruder in der Hand. Achtung: Dies bestätigt kein LKA-Bericht und kein Bundeslagebild.

Es muss nun ja noch Mal gesagt werden, dass Deutschland zum Puff Europas verkommen ist. Herrlich diese Wortwahl. Und es muss auch noch Mal die Aussage wiederholt werden, dass Frankreich einen ganz anderen Weg geht. Nein, es geht nicht um die Freierbestrafung, sondern Frankreich bestraft die Zuhälter, was übrigens in Deutschland auch ein Straftatbestand ist, aber davon wird nichts gesagt.

Wie macht unser Nachbarland das?
Na ganz einfach. Die Zuhälter schicken ihre Frauen im grenznahen französischen Straßburg zum Anschaffen und sitzen auf der Deutschen Seite des Flusses in Kehl und werden nicht belangt. Aha, das müßte dann vielleicht die Zusammenarbeit zwischen der deutschen und der französischen Polizei verbessert werden.


Gaby Wendland spricht die Abschlussworte und fragt sich zu Recht, ob denn die Frauen ihre Hilfe überhaupt wollen. Aber das ist irgendwie eine rhetorische Frage, denn sie wird nicht beantwortet. Statt dessen:

"Wir dürfen in leere Augen schauen, und wir haben 1000 Tränen getrocknet."

Unglaublich, aber Wendlands Stimme bebt, als ob sie wirklich gleich zu weinen beginnt, und sie fordert die Politiker auf, den Frauen Arbeitserlaubnis zu geben. Ja, das ist doch Mal ne gute Idee! Welchen Frauen denn? Nur den Menschenhandelsopfern? Darüber wird ja tatsächlich im Bundestag debattiert. Aber Frau Wendland kann ja unmöglich fordern, dass alle Migrantinnen erst Menschenhandelsopfer werden müssen um eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen, oder?


Quellenangaben und Zitate:

1a) Spiegel - Die dubiosen Methoden von Mission Freedom https://www.spiegel.de/panorama/justiz/zwangsprostitution-die-dubiosen-methoden-von-mission-freedom-a-937704.html

1b) taz - Dubiose Hilfsorganisation: Vom Strich in die Christensekte https://taz.de/Dubiose-Hilfsorganisation/!5055088/

1c) NDR - Bürgerpreis für dubiosen Verein https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Buergerpreis-fuer-dubiosen-Verein,missionfreedom103.html

2a) Bundslagebilder Menschenhandel des BKA in 2014: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/menschenhandelBundeslagebild2014.html?cms_templateQueryString=bundeslagebild

2b) Alle Bundeslagebilder des BKA: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html

3) Istanbul-Konvention und der §177 des StGB: https://verfassungsblog.de/wer-sich-nicht-wehrt-stimmt-noch-lange-nicht-zu-voelkerrechtswidrige-deutsche-rechtspraxis-zu-%c2%a7-177-ii-stgb/

4) ProstG, eingeschränktes Weisungsrecht in §3: http://de.wikipedia.org/wiki/Prostitutionsgesetz

5) Erklärung Schwedisches Modell: http://de.wikipedia.org/wiki/Prostitution_in_Schweden

6) Schwedische Sexarbeits-Organisation: https://redumbrella.se/

7) Krankenversicherungsstand in der Prostitution: https://www.bundestag.de/resource/blob/407090/2c019d78d6c97dca881a6026da5267ba/wd-7-141-07-pdf-data.pdf

8) Evaluation des ProstG: https://www.bundestag.de/resource/blob/407090/2c019d78d6c97dca881a6026da5267ba/wd-7-141-07-pdf-data.pdf

Presse über die Veranstaltung:

taz hamburg, 07.11.2014 -> http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ha&dig=2014%2F11%2F07%2Fa0146&cHash=714836e04b3b1004f92884070dde5962

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