10 Fragen an „Hure mit Huhn“ - Teil1

„Ich habe mir meinen Zuhälter selber gezogen“

Johanna Weber -- 07.04.2023   Themen: Kolleg*innen

Ein braues Huhn - Twitterprofil von @HuhnHure

Sie heißt natürlich nicht wirklich Hure mit Huhn, sondern das ist ihr Name auf Twitter. Als wir beide uns kennengelernt haben gab es weder Social Media noch Internet. Das war vor fast 30 Jahren auf den damaligen Hurenkongressen. Immer wieder haben sich unsere Wege gekreuzt, denn wir beide sind neben der Sexarbeit auch politisch für die Rechte von Sexarbeitenden aktiv.
Und jetzt sitze ich mit ihr auf der Terrasse eines wunderbaren Cafes in München. In der opulenten Kuchentheke hatte uns beide der Käsekuchen mit Himbeeren sofort überzeugt. Und nun stehen die Teller mit den Köstlichkeiten und jeweils ein dampfender Kaffee vor uns.
Aus dem wunderbaren Kaffeplausch-Interview habe ich zwei Teile machen müssen, denn ich wollte nichts weglassen. Teil1 ist mit Zuhälter und Teil2 ist die Zeit danach.

1) Du bist jetzt 58 und hast ja in ganz jungen Jahren angefangen. Wie kam es dazu?

Ich war 22 und ich hab ja ganz normal Schule gemacht und einen Beruf gelernt - Zahnarzthelferin war ich. Aber ich hab dann in einer Diskothek als Bardame angefangen, und ich habe da da jemanden kennengelernt, in den ich mich sehr, sehr verliebt habe. Dem hat es dann nicht gefallen, dass ich nur nachts gearbeitet habe. Aber als Zahnarzthelferin wollte ich nicht wieder anfangen. Durch die Arbeit in der Disco habe ich schon ein Paar Leute aus dem sogenannten Milieu kennengelernt, und dann wollte ich ausprobieren wie das ist, anschaffen zu gehen. Da hat mein Partner nur etwas komisch geschaut und dann gesagt: „Ja, OK wenn du meinst, dann probier es.“

2) Bei euch in Bayern gab es doch damals noch den "Bockschein". Du konntest ja nicht einfach so loslegen. Oder wie war das?

Du weißt ja selber wie das 1987 war. Du mußtest erst zur Sitte - also zur Polizei - und dich da anmelden. Ich bin sogar erkennungsdienstlich aufgenommen worden.
Und dann haben die mich gefragt, ob ich mir das überlegt habe und ob ich das freiwillig mache…
Ja, das war damals schon ein Thema.
Dann mußte ich zum Gesundheitsamt zur Pflichtuntersuchung. Und da hast du so eine grüne Karte gekriegt, und das war dann der Bockschein. Und den Schein mußten wir dann im Puff vorzeigen. Ohne brauchtest du gar nicht kommen.
Alle 2 Wochen diese Untersuchung auffrischen.
Die hatten da - ohne Scheiß - noch nicht mal eine Umkleidekabine. Wir standen dann in Reih und Glied in der Schlange, und die Untersuchung war in einem Raum mit mehreren Gynstühlen nebeneinander.
Das waren die Böcke, auf denen du zu liegen kamst - deshalb Bockschein.
Irgendwann kommt man dann drauf, in der Schlange stehend einen Rock oder ein Kleid anzuziehen ohne Unterwäsche drunter. Sonst hätten wir da ja nackig stehen müssen.
Du hast da mit 3 bis 4 anderen auf dem Bock gelegen. Und wenn dann wirklich mal bei einer irgendwas war - das haben alle mitgekriegt.

3) Ja, und wie war denn nun dein Einstieg? Wo hast du zu Beginn gearbeitet?

Ich hab das angefangen in einer Wohnung mit einer Frau zusammen. Also, das war Wohnungsprostitution, und das hatte in der Zeitung gestanden. Damals gab’s ja noch kein Internet. Und ich hab da angerufen und gleich gesagt, dass ich das noch nie in meinem Leben gemacht habe.
Und die Inhaberin wollte es mit mir probieren.
Ich bin dieser Frau bis zum heutigen Tag dankbar, denn sie hat mir alles erzählt, was wichtig ist, und ich konnte sie immer fragen. Damals war ja Kondom sowieso, denn AIDS war ja ein riesen Thema.
Ich hab dann eine Anzeige in der Zeitung gemacht als Werbung für mich. Was anderes gab´s ja damals nicht. Da mußte man noch persönlich hin zur Zeitung und bar bezahlen und sich ausweisen.

4) Und wie war dein erster „Freier“?

Ja, dann kam mein erster Arbeitstag. Ich bin dann hingegangen, und war aufgeregt. Hab mich umgezogen und gewartet. Hab echt nicht schlecht ausgeschaut, und ich war sehr lebensfroh… und irgendwann hat es dann an der Tür geklingelt, und dann hat da jemand gestanden, der zu mir wollte.
Und das vergesse ich nie.
Ich glaube den ersten Freier vergißt man nie.
Es war damals für mich ein alter Mann. Heute würde ich sagen, der ist in meinem Alter.
Er war sehr gepflegt, mit Anzug, und dann haben wir Dienstleistungen vereinbart und natürlich die Bezahlung vorab. Ich hab dann - wie sagt man so schön - die Dienstleistung erbracht, und dann bin ich in die Küche und hab die Puffmutter umarmt und habe gesagt: „Ey, das ist mein Job!“

'5) Was hat das mit deiner Beziehung gemacht?

Mein Lebenspartner hat schnell mitgekriegt, dass man da sehr gut Geld verdienen kann. Und dann hat er gesagt: „Wir haben so wenig Zeit miteinander, ich höre jetzt das Arbeiten auf.“ Und ich war voll verliebt, und fand das OK. Hab ja genug verdient.
Und ja, ich habe mir meinen Zuhälter selber gezogen.
Die Zeiten waren anders damals.
Wir Mädels hingen immer zusammen und unsere Jungs auch.
Mein Freund und ich waren dann fast nur noch im Milieu. Die Männer waren halt unsere Aufpasser… oder wie soll man das so nennen. Freilich, die haben alle von uns gelebt.

6) Und das fandest du gar nicht komisch?

Nein. Im Gegenteil. Ich will nicht sagen, dass es sowas wie einen Wettbewerb gab unter uns Frauen, aber wir haben unsere Männer ausstaffiert. Unsere Männer waren unsere Aushängeschilder. Wenn der sein Feuerzeug verzockt hatte, dann bist du am nächsten Tag los in die Feuerzeugzentrale und hast ihm ein Gescheites neues gekauft. Der kann sich ja nicht mit einem Plastik-Feuerzeug eine Zigarette anzünden. Das schaut ja sonst aus, als wärst du keine gute Hure.
Es war halt so.
Das hat in dem Kreis, in dem ich mich bewegt habe, keiner hinterfragt.
Natürlich hab ich auch mal erlebt, dass eine Kollegin ein blaues Auge gehabt hat. Auch ich hatte mal ein blaues Auge, wenn er mal zu viel getrunken hatte. In der Welt in der ich gelebt habe, war das halt so.
Das war mein Leben, und ich hab das aber auch genossen.

7) Mußtest du denn jeden Abend das Geld abliefern?

Nein, ich hab ihn einfach sehr gut mitleben lassen. Aber es war mir immer wichtig, dass ich selber über mein Geld entscheiden kann. Ich mußte nie nachfragen, ob ich Morgen zum Friseur gehen kann und dafür Geld kriegen kann. Das war immer mein Geld und ich hab nur das abgegeben, was ich nicht gebraucht hab. Damals lief das Geschäft ja auch richtig, richtig gut. Ich hab richtig gut verdient, und hatte viel über.

8) Und du warst seine einzige Frau?

Nein, es war ja auch so, dass die Männer mehrere Frauen hatten. Meiner hatte zu seinen besten Zeiten manchmal vier. Ich war immer die Hauptfrau. Abends nach Hause kam er zu mir.
Und das war mir auch immer wichtig, dass die Wohnung - also, mein Zuhause - auf meinen Namen gelaufen ist, und dass meine Sachen mir gehören.
Ich hab da gar nicht großartig drüber nachgedacht. Alle, die ich so kannte, haben das so gemacht, und zu nicht anschaffenden Leuten - also den „Soliden“ - hatte ich zu der Zeit wenig Kontakt. Wir im Milieu waren eine große Familie.

9) Die Beziehung war ja nicht von Dauer. Wie ging das zu Ende?

Irgendwann ist das dann mal so umgeschwappt. Mir ging auf, dass ich den Zustand so nicht mein ganzes Leben haben will.
Der Typ muss weg.
Und das kann ich jetzt ja ehrlich sagen - ich hab damals Ablöse bezahlt.

10) Ach, und was hast du gekostet?

Ich hab damals 10.000 Mark Ablöse gezahlt - beim ersten Mal.
Also, meiner hat mich ja nicht gezwungen, dass ich Anschaffen geh. Ab und zu ist ihm mal die Hand ausgerutscht, aber nicht wegen meiner Arbeit, sondern weil er so war. Ab und zu zu viel getrunken.
Und dann hab ich dieses Geld gezahlt, und dann war Ruh.
Dann war er ein halbes Jahr verschwunden und war ganz weg.
Und irgendwann stand er dann wieder da… und alles ging wieder von vorne los. ich war sofort wieder verliebt, und er hat sofort wieder bei mir gewohnt. Und in der Zeit ist dann unser Kind entstanden. Ich war dann schwanger, und dann hab ich zu ihm gesagt: „Du mußt wieder arbeiten!“ Das wollte er natürlich nicht, und dann haben wir uns getrennt. Er ist dann ausgezogen, und ich hab dann aufgehört anzuschaffen. Das wollte ich mit dem schwangeren Bauch nicht.
Dann hab ich aber trotzdem noch mal 10.000 Mark abgedrückt, dass er halt auch ein Startkapital hat.


Und wie es weiter ging mit der Kollegin und ihr Leben eine bezaubernde Wandlung nahm erfahrt ihr in Teil2 des Interviews im nächsten Monat.

Und hier der Link zu ihrem sehr unterhaltsamen und informativen Twitter-Account mit dem Namen Hure mit Huhn -> https://twitter.com/HuhnHure

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