Abschlussbetrachtung meiner Laufhaus-Aufenthalte in Kiel

Über das Warten, die Rocker, Scheiß Sexarbeit und Kundenandrang zu Großevents

Johanna Weber -- 17.03.2024   Themen: Studios

Außenaufnahme eines Eros Center mit roter Leuchtreklame

ÜBER DAS WARTEN

Donnerstag war schlimm, und Freitag war noch schlimmer…. Warten, warten, warten...
Es kam wirklich gar keiner, oder wie die Kollegin, Carina sagte, nur Idioten.
Ja, überraschend kam Carina am schon am Donnerstag an. Sie war hochmotiviert und kam gerade aus dem Urlaub zurück. Doch dann sank ihre Stimmung sehr schnell in den Keller. Nach 3 Stunden Sitzen noch keinen Gast…
Chrissy von gegenüber hatte super oft die Tür zu.
Mittlerweile weiß ich ja, dass eine geschlossene Tür nicht zwangsläufig heißt, dass die Kollegin Kundschaft hat.

Ich frage sie am späten Donnerstag Nachmittag, wie viele Kunden sie schon hatte? - Noch keinen.

Von Carina aus dem Dritten bekam ich Telegram-Nachrichten mit Totenköpfen….
Die ganze Erholung des Urlaubs sei dahin.
Nein, es ist nicht so, das hier ständig Männer vor unserer Tür Schlange stehen und wir wundgef**kt werden.
Das Sitzen und Warten ist das Schlimme.
Vor allen Dingen wenn du noch nicht mal die Tagesmiete zusammen hast.
Aber, das war erstaunlich - am Freitag Abend und nachts kamen dann doch noch etliche. Jetzt verstehe ich auch, warum die lieben Kollginnen sich erst so ab dem frühen Abend in Position begeben….


ÜBER SCHEISS SEXARBEIT UND AUSSTIEG

„Diese Arbeit ist scheiße…“ sagte Chrissy. „Die Arbeit ist heute Scheiße oder immer Scheiße?“ wollte ich natürlich differenzieren. Von ihr kam nur schnippisch: „Immer Scheiße.“
Ich wollte sie fragen, warum sie denn nichts anderes macht. Aber die Frage hat sie nicht verstanden, denn sie antwortete, dass es in Bulgarien keine Arbeit gibt. Aha, das nennt man dann wohl klassische Armutsprostituierte. Was ja oft mit Zwangsprostituierte gleichgestzt wird.
Sollte das in diesem Fall tatsächlich ansatzweise stimmen?
Dann fragte ich: „Was ist denn so Scheiße?.“ Sie warf ihre langen Haare in den Nacken und sagte „Wenn kein Kunde kommt“
Aha, soviel also zu den grausamen und gewaltsamen Kunden, was ja immer in den Medien zu lesen ist.
Wenn ich das nun richtig zusammenfasse, dann hätte Chrissy gerne ein Paar Kunden mehr statt weniger. Das spricht ja nicht für das nordische Modell als Heilsbringer.
Und Chrissy ist ein super Beispiel dafür, dass Menschen sehr vielfältige Empfindungen haben, die situationsbedingt auch komplett gegenteilig sein können.
Abends Chrissy bei der Arbeit zu beobachten ist eine wahre Freude. Sie guckt die Männer super auffordernd aber total lieb an. Mehr als „Hallo“ sagt sie gar nicht.

Wer dann stehen bleibt fragt oft: “Was machst du?“ - „Ficken, blasen,“ kommt es dann von Chrissy.

Ich kann echt nur die Augen verdrehen, denn das ist so als ob ich einen Bäcker frage was er macht und er sagt „Brot backen.“ Aber das scheint eine Höglichkeitsfloskel im Laufhaus zu sein, denn die Herren fragen dann: „Was kostet es?“ Und dann geht Chrissy schon einen Schritt zurück, um ihn willkommen zu heißen und sagt „50 Euro“
„OK“ sagt er und ist schon beim Eintreten.
Wieviel sie ihm an Extras im Zimmer noch entlockt, dass lassen wir ihr Geheimnis sein. Ich habe wieder viel gelernt.

Eine andere über mangelnde Kunden jammernde Kollegin fragte mich wo ich denn noch so arbeite. Als ich dann erwähnte, dass man in München sehr gut Geld verdienen könne, sagte sie nur: „Im bin immer hier!“ Sie war noch nie wo anders und erweckte auch nicht den Eindruck, dass das irgendwie interessant sein könnte für sie.
Nein, die Frauen sind nicht angebunden im Laufhaus in Kiel. Nein, die können jederzeit raus. Und das tun sie auch. Sie gehen einkaufen, Kaffeetrinken oder auch mal bummeln. Aber meist sitzen sie lieber in ihrem Zimmer hinter verschlossener Tür und hängen da ab. Und ihr Geld sparen sie leiber für die Familie Zuhause, statt es in Kiel zu verprassen.

Ja, das Laufhaus ist der sichere Hafen für viele Kolleginnen. Hier kennen sie sich aus. Hier fühlen sie sich Zuhause und haben ihr soziales Umfeld in den Nachbarzimmern.

Das bestätigt auch die Beraterin und Leitung, Stefanie Kohlmorgen von der Kieler Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen in SH des Frauennetzwerk zur Arbeitssituation e.V.
Ich habe ihr am Freitag Morgen einen Besuch abgestattet. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit Professionalisierung und mit Jobalternativen für Sexarbeitende. Sie sagte, dass sehr oft Hilfen bei der Steuererklärung angefragt werden. Sie war zu Beginn oft erschüttert, wie wenig von dem Sexarbeitsgeld bei den Ratsuchenden übrig bleibt. Viele nehmen nicht wahr, dass Umsatz nicht Gewinn ist, und dass sie außer der Zimmermiete noch weitere Ausgaben haben, die später vom Konto runter gehen. Und dass eben am Ende dann gar nicht viel übrig bleibt zum Leben.
Es wird oft auch leider nicht gesehen, dass bei einem Angestelltenverhältnis die finanzielle Situation besser ist: hier werden Beiträge zur Krankenkasse und Steuern bereits bezahlt, die im Falle der Selbstständigkeit noch gezahlt werden müssten.
Vielen ist auch nicht bekannt, dass sie Möglichkeiten der Ausbildung oder Anerkennung hätten. So sehen sie wenige Perspektiven und verbleiben nachvollziehbar in der jetzigen Situation. Sie müßten ja ihren sicheren Hafen verlassen, das was sie kennen, und das ist immer ein steiniger und unsicherer Weg.
Und wichtig ist auch zu sagen, dass es Frauen gibt, die im Laufhaus gut zu tun haben und nicht nur von der Hand in den Mund leben. Richtig reich wird man dort aber nicht. Aber so richtig viel Arbeiten muss man eben auch nicht für das Geld. Die meiste Zeit sitzt man ja rum. Und die 50-Euro-Gäste hast du schon wieder vergessen sobald sie zur Tür raus sind.

Frau Kohlmorgen könnte sehr viel über das Thema Umstieg in andere Tätigkeiten erzählen, denn ihre Beratungsstelle hat auch ein Modellprojekt namens AQUA, bei dem es genau darum geht.

Aber ist nicht so, dass die Sexarbeitenden darauf warten, dass jemand auf sie zukommt und ihnen einen Job als Pflegehelferin oder Putzkraft besorgt, was der Arbeitsmarkt benötigt. Sie haben häufig andere Vorstellungen und Träume, was eine Alternative sein könnte.


UND EWIG LOCKT DAS WEIB

Die „Mädels“ im Laufhaus wissen ganz genau, wie sie Männer bezirzen können. Ziel ist ja möglichst viel Geld für möglichst wenig tun.
Das klappt natürlich nicht immer, aber ich habe auch wieder viel gelernt. Chrissy klimpert so gekonnt mit den langen Wimpern, dass Mann kaum umhin kann. Und dann höre ich ihre lockenden Worte: „Komm, komm, komm…..“ in einer verführerisch säuselnden Tonlage. Manche Männer machen auf Macho wenn sie durch das Laufhaus laufen, aber die meisten sind eigentlich ganz normal. Die, die bei jeder nach dem Preis fragen, werden von den Kolleginnen weiter hinten im Gang schon komplett ignoriert, wenn wir vorne im Gang uns mit denen schon abgemüht haben. Gerade hat Chrissy zwei Kumpels in ihr Zimmer gezogen. Mist, ich dachte ich bekomme auch einen ab…. Lana aus der Dritten erzählte mir, dass sie immer versucht zuerst mit 50 Euro zu kobern, um dann natürlich Extras zu verkaufen.
Und natürlich war früher alles besser.

Aber die Frau bestimmt, was hier gemacht wird. Und jede in dieser Branche lernt schnell, mit der Geilheit der Männer zu spielen und ihre Lust durchaus auch auszunutzen.


DIE KIELER WOCHE UND FUSSBALL-EVENTS

Es geistern ja zu jeder Welt- oder Europameisterschaft wieder selbige Zahlen von Sexarbeitenden durch die Medien, die nach Deutschland verschleppt werden und hier zur Verfügung stehen zu müssen.

Es sind immer 40.000. Wie so oft gibt es keine Nachweise dafür.

In Kiel ist das größte Event ja die „Kieler Woche“. Da ist wirklich Ausnahmezustand. „Da mußt du mal kommen und arbeiten. Dann stehen die Männer unten vor der Tür Schlange,“ sagte einer der Jungs. Ein anderer relativierte das dann aber, denn es seien sehr viele Gaffer dabei.
Ich fragte mal nach bei Profi-Hure Lana. „Ja, früher war Kieler Woche super. Da habe ich die Preise immer verdoppelt und hatte super zu tun.“ „Echt?,“ wollte ich wissen: „Haben alle die Preise erhöht hier im Haus?“ „Nee, aber ich mache das.“ Ja, Lana ist auch echt schlau. Sie fügte dann aber hinzu: „Aber das war früher. Jetzt ist das nicht mehr so. Letztes Jahr war viel weniger los, und das Haus ist voll mit Frauen.“

Und da sind wir wieder beim Kernthema, dass es gerne mehr und nicht weniger Kunden sein dürften. Soviel also zur Idee mit der Einführung des Sexkaufverbotes.

Auch in diesem Jahr gibt es wieder ein großes Fußballevent in Deutschland. Und wieder wird überall von den 40.000 Zwangsprostituierten zu lesen sein - unter falschen Versprechungen aus Osteuropa nach Deutschland gelockt - der Ausweis wird ihnen abgenommen und sie müssen 24 Stunden am Tag durcharbeiten….
Leider wird sich niemand die Mühe machen, diese Zahl und die Behauptungen zu hinterfragen.
Aber es gibt immerhin einen sehr lesenswerten Beitrag im Deutschlandfunk, der genau diese 40.000 Zwangsprostituierten zur Fußball-WM hinterfragt. 1)


ÜBER ROCKER, BULLEN UND WER SORGT FÜR ORDNUNG

Vor vielen Jahren war ich mal auf einer Behörden-Fortbildung zum Thema Sexarbeit in Schleswig-Holstein. In der Kaffeepause erzählte mir ein Herr von der Polizei: „Die Hells Angels sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.“ Früher hätten die ständig Ärger gemacht, aber jetzt seien sie klüger und ruhiger geworden. Immer wenn es Probleme mit Betrunkenen oder Ähnlichem im Laufhaus gibt, dann rufen sie nun die Polizei, dass die dort aufräumen.
Auch ich hatte meine Vorurteile und Bilder von den Hells Angels und Rockern allgemein. Ähnliche Bilder wie die meisten Menschen. Bilder, von denen man sich fragen muss, wieso man diese hat? Und woher man sie eigentlich hat?

Ich kann nur sagen, dass die „Rocker“ hier in diesem Laufhaus vorbildliche Betreiber sind.

Alles nur mit ordnungsgemäßen Papieren, es gibt Quittungen und die Miete ist für alle gleich. Woanders gibt es oft Sonderkonditionen für Lieblinge…. nicht hier. Wenn wir irgendwas brauchen, dann springen die Jungs sofort auf und helfen. Und wenn eine Ärger mit einem Kunden hat, dann muss sie nur auf die Klingel drücken und einer von den Jungs kommt rauf.

Die Jungs sind immer auf der Seite „ihrer“ Frauen. Der Kunde fliegt dann raus, auch wenn eindeutig die Frau ihn beschissen hat.

Und wenn es größeren Ärger gibt? Gestern waren drei Angetrunkene hier und lärmten rum. Zunächst versuchten unsere Jungs ihnen diplomatisch den Weg zur Tür weisen, aber das fand keinen Anklang. Und es dauerte nicht lange, da kamen dann 5 Menschen in Polizei-Uniform die Treppen rauf.

Am Abschiedmorgen unterhielt ich mich beim Frühstück in der Laufhausküche mit Jochen, der mal wieder Frühschicht hatte. Er erzählte, dass früher ja viel mehr los gewesen sei. Corona habe viel kaputt gemacht. Die Bordelle waren ja alle geschlossen, und die Frauen hätten sich andere Arbeitsplätze gesucht in Privatwohnungen. Und dort sind viele geblieben. Auch viel Kundschaft ist dorthin abgewandert, denn das ist ja vermeintlich diskreter. So seine Einschätzung.
Und dabei hat das Laufhaus auch einen verhältnismäßig diskreten Hintereingang.
Ich fragte, ob sie mal über neue Konzepte nachgedacht hätten und den Laden mal komplett durchrenovieren und stylisch einrichten wollten. Er sagte, dass sie das versucht hätten, aber viele Frauen würden die Zimmer einfach super schlecht behandeln. Es sind ja nicht ihre. Leider deckt sich das mit meiner Erfahrung.

„Und wenn ihr Kaution nehmt?“ „Nee,“ sagte Jochen, „das können wir nicht machen, denn dann sind die Frauen ja in einem Abhängigkeitsverhältnis zu uns.“

Und man merkte ihm an, dass nicht nur die Behörden, sondern auch er da gar keinen Bock drauf haben.
Naja, wo Bezahl-Quittungen noch mit der Hand ausgefüllt werden, da gilt eher, dass am Ende des Tages für das Zimmer bezahlt wird, und fertig.
„Wir können einfach nur hinterher renovieren.“
Da hat er ja Recht, aber der hauseigene Renovierungs-Elan beinhaltet wirklich nur das Nötigste. Da ist noch reichlich Luft nach oben. Die Zimmer sind absolut Basic, aber das gehört ja auch zum Rotlicht-Charme mit dazu.
Und sie kosten ja auch nur 120 Euro pro Tag mit Übernachtungsmöglichkeit und Frühstück.
„Und wenn eine mal echt nix verdient hat, dann drücken wir auch mal ein Auge zu.“


Quellennachweise und Lesetipps auch für die zukünfitige Fußball Europa-Meisterschaft in Deutschland, bei der sicher wieder von 40.000 Zangsprostituierten gesprochen wird:

1) Sehr gut geschriebener Bericht: Die Spur der 40.000 Prostituierten - Ein Gerücht und sein Weg in die Medien https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-spur-der-40-000-prostituierten-ein-geruecht-und-sein-100.html


Wer meine liebe Kollegin, Carina, besuchen möchte, der findet sich im 3.Stock des Eros-Centers im letzten Zimmer am Ende des Ganges. Gerne sitzt sie in ihrem Korbsessel vor der Spiegelwand am Gangende und tippt in den Chatgruppen des Berufsverbandes BesD rum, in dem wir beide Mitglied sind. Dort haben wir uns kennen gelent, und sie hat mich an die Hand genommen und mir alles erklärt, was man im Laufhaus wissen muss.
Und sie macht auch tolle Aufklärungsvideos über Sexarbeit im Laufhaus. Danke an diese tolle Frau. Infos -> https://www.instagram.com/city.cat.carina/

Eros-Center
Wall 50
Eingang neben der Kneipe "Hafenbraut"
Diskreter Eingang möglich:
vom Hof (Parkplatz hinter dem Haus)


Chrissy, Lana, Jochen und die anderen Genannten aus dem Laufhaus heißen in Wirklichkeit anders. Ich wollte sie einfach nicht outen.

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